Himmel zu reden. Ach, so schloß sie, da werd ich auch den edeln Dichter sehen, und ihm danken!
Aber heute|, sagte sie, indem sie aufstand, zu Marienen und zu Siegwart, heute haben wir Sie um einen schönen Abend gebracht. Wie wärs, wenn sie hier blieben, und im herrlichen Mond- schein mit uns spatzieren giengen? Jch habe schon dafür gesorgt, versetzte Siegwart, und im Dorf da drüben ein Nachtquartier bestellt. Herr- lich, herrlich! sagte Mariane, und gab ihm einen Kuß. Er gieng nun mit ihr allein ins Wäldchen spazieren, und setzte sich wieder unter den Apfel- baum. Jndem er sich setzte, flog aus dem näch- sten Busch eine Grasemücke: Er sah in den Busch, und fand ein Nestchen mit fünf Eyern. Liebes Mädchen, sagte er, wir wollen uns anderswo hinsetzen! Das arme Vögelchen wagt sich nicht auf sein Nest, und seine Eyer werden kalt. Sie gien- gen weiter ins Gebüsch, und setzten sich unter ei- ne Fichte, durch die die etwas laute Luft majestä- tisch, wie ein Strom rauschte. Hier zwitscherte ihnen eine Grasemücke ihren ungekünstelten Ge- sang vor. Horch! sie dankt dir, sagte Mariane, und sank ihm ans Herz. Eine selige Wehmuth süllte ihre Seelen. Mariane lag in seinem Arm,
Himmel zu reden. Ach, ſo ſchloß ſie, da werd ich auch den edeln Dichter ſehen, und ihm danken!
Aber heute|, ſagte ſie, indem ſie aufſtand, zu Marienen und zu Siegwart, heute haben wir Sie um einen ſchoͤnen Abend gebracht. Wie waͤrs, wenn ſie hier blieben, und im herrlichen Mond- ſchein mit uns ſpatzieren giengen? Jch habe ſchon dafuͤr geſorgt, verſetzte Siegwart, und im Dorf da druͤben ein Nachtquartier beſtellt. Herr- lich, herrlich! ſagte Mariane, und gab ihm einen Kuß. Er gieng nun mit ihr allein ins Waͤldchen ſpazieren, und ſetzte ſich wieder unter den Apfel- baum. Jndem er ſich ſetzte, flog aus dem naͤch- ſten Buſch eine Graſemuͤcke: Er ſah in den Buſch, und fand ein Neſtchen mit fuͤnf Eyern. Liebes Maͤdchen, ſagte er, wir wollen uns anderswo hinſetzen! Das arme Voͤgelchen wagt ſich nicht auf ſein Neſt, und ſeine Eyer werden kalt. Sie gien- gen weiter ins Gebuͤſch, und ſetzten ſich unter ei- ne Fichte, durch die die etwas laute Luft majeſtaͤ- tiſch, wie ein Strom rauſchte. Hier zwitſcherte ihnen eine Graſemuͤcke ihren ungekuͤnſtelten Ge- ſang vor. Horch! ſie dankt dir, ſagte Mariane, und ſank ihm ans Herz. Eine ſelige Wehmuth ſuͤllte ihre Seelen. Mariane lag in ſeinem Arm,
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Himmel zu reden. Ach, ſo ſchloß ſie, da werd
ich auch den edeln Dichter ſehen, und ihm danken!
Aber heute|, ſagte ſie, indem ſie aufſtand, zu
Marienen und zu Siegwart, heute haben wir Sie
um einen ſchoͤnen Abend gebracht. Wie waͤrs,
wenn ſie hier blieben, und im herrlichen Mond-
ſchein mit uns ſpatzieren giengen? Jch habe
ſchon dafuͤr geſorgt, verſetzte Siegwart, und im
Dorf da druͤben ein Nachtquartier beſtellt. Herr-
lich, herrlich! ſagte Mariane, und gab ihm einen
Kuß. Er gieng nun mit ihr allein ins Waͤldchen
ſpazieren, und ſetzte ſich wieder unter den Apfel-
baum. Jndem er ſich ſetzte, flog aus dem naͤch-
ſten Buſch eine Graſemuͤcke: Er ſah in den Buſch,
und fand ein Neſtchen mit fuͤnf Eyern. Liebes
Maͤdchen, ſagte er, wir wollen uns anderswo
hinſetzen! Das arme Voͤgelchen wagt ſich nicht auf
ſein Neſt, und ſeine Eyer werden kalt. Sie gien-
gen weiter ins Gebuͤſch, und ſetzten ſich unter ei-
ne Fichte, durch die die etwas laute Luft majeſtaͤ-
tiſch, wie ein Strom rauſchte. Hier zwitſcherte
ihnen eine Graſemuͤcke ihren ungekuͤnſtelten Ge-
ſang vor. Horch! ſie dankt dir, ſagte Mariane,
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 846. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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