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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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gemeiniglich auf das Glück jüngerer Personen nei-
disch sind. Lieber Gott! sagte sie, wie können
sie doch das seyn, da sie wissen, wie es ihnen eh-
mals war, und wie leid es ihnen that, wenn sich
jemand ihrer Liebe widersetzte! Nein, ich freue
mich herzlich, wenn ich andre glücklich sehe, und
thu alles, was ich kann, sie in ihrem Glücke
zu befestigen. Ach Gott, wenn ich einen solchen
Jüngling, wie Sie sind, in der Jugend hätte lie-
ben dürfen, und man hätte mir dieß Glück wollen
rauben, was hätt ich von solchen Menschen den-
ken müssen! Soll ichs jungen Leuten übel nehmen,
daß sie Menschen sind, und dem Trieb des Schöpfers
und der Natur solgen? Freun Sie sich, meine Lie-
ben, es werden auch trübe Tage kommen, ob ichs
gleich nicht wünsche. Hier weinte sie. Sie wa-
ren also nicht glücklich, theure Frau? fragte
Siegwart. -- Nein, ich wars nicht, versetzte sie.
Denken Sie! Jm sechszehnten Jahr must ich ei-
nen Mann heyrathen, den ich nicht kannte und
nicht liebte. Gott hab ihn selig. Aber er war
weiter nichts, als Regierungsrath und reich. Von
Seelenliebe wust er nichts. Er glaubte, wenn
man seine Frau in Gesellschaft bringe, und ihr
Unterhalt verschaffe, seys genug. Kurz, er war,



gemeiniglich auf das Gluͤck juͤngerer Perſonen nei-
diſch ſind. Lieber Gott! ſagte ſie, wie koͤnnen
ſie doch das ſeyn, da ſie wiſſen, wie es ihnen eh-
mals war, und wie leid es ihnen that, wenn ſich
jemand ihrer Liebe widerſetzte! Nein, ich freue
mich herzlich, wenn ich andre gluͤcklich ſehe, und
thu alles, was ich kann, ſie in ihrem Gluͤcke
zu befeſtigen. Ach Gott, wenn ich einen ſolchen
Juͤngling, wie Sie ſind, in der Jugend haͤtte lie-
ben duͤrfen, und man haͤtte mir dieß Gluͤck wollen
rauben, was haͤtt ich von ſolchen Menſchen den-
ken muͤſſen! Soll ichs jungen Leuten uͤbel nehmen,
daß ſie Menſchen ſind, und dem Trieb des Schoͤpfers
und der Natur ſolgen? Freun Sie ſich, meine Lie-
ben, es werden auch truͤbe Tage kommen, ob ichs
gleich nicht wuͤnſche. Hier weinte ſie. Sie wa-
ren alſo nicht gluͤcklich, theure Frau? fragte
Siegwart. — Nein, ich wars nicht, verſetzte ſie.
Denken Sie! Jm ſechszehnten Jahr muſt ich ei-
nen Mann heyrathen, den ich nicht kannte und
nicht liebte. Gott hab ihn ſelig. Aber er war
weiter nichts, als Regierungsrath und reich. Von
Seelenliebe wuſt er nichts. Er glaubte, wenn
man ſeine Frau in Geſellſchaft bringe, und ihr
Unterhalt verſchaffe, ſeys genug. Kurz, er war,

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[836/0416] gemeiniglich auf das Gluͤck juͤngerer Perſonen nei- diſch ſind. Lieber Gott! ſagte ſie, wie koͤnnen ſie doch das ſeyn, da ſie wiſſen, wie es ihnen eh- mals war, und wie leid es ihnen that, wenn ſich jemand ihrer Liebe widerſetzte! Nein, ich freue mich herzlich, wenn ich andre gluͤcklich ſehe, und thu alles, was ich kann, ſie in ihrem Gluͤcke zu befeſtigen. Ach Gott, wenn ich einen ſolchen Juͤngling, wie Sie ſind, in der Jugend haͤtte lie- ben duͤrfen, und man haͤtte mir dieß Gluͤck wollen rauben, was haͤtt ich von ſolchen Menſchen den- ken muͤſſen! Soll ichs jungen Leuten uͤbel nehmen, daß ſie Menſchen ſind, und dem Trieb des Schoͤpfers und der Natur ſolgen? Freun Sie ſich, meine Lie- ben, es werden auch truͤbe Tage kommen, ob ichs gleich nicht wuͤnſche. Hier weinte ſie. Sie wa- ren alſo nicht gluͤcklich, theure Frau? fragte Siegwart. — Nein, ich wars nicht, verſetzte ſie. Denken Sie! Jm ſechszehnten Jahr muſt ich ei- nen Mann heyrathen, den ich nicht kannte und nicht liebte. Gott hab ihn ſelig. Aber er war weiter nichts, als Regierungsrath und reich. Von Seelenliebe wuſt er nichts. Er glaubte, wenn man ſeine Frau in Geſellſchaft bringe, und ihr Unterhalt verſchaffe, ſeys genug. Kurz, er war,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 836. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/416>, abgerufen am 22.11.2024.