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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Zween Tage darauf kamen Briefe von Theresen
und ihrem Vater. Kronhelm erbrach sie mit Zit-
tern und dem bängsten Herzklopfen. Sie schrieb
ihm folgendes:

Theurester Freund!

Jch schreib Jhnen mit dem kummervollsten Her-
zen, und mit nassen Augen den letzten Brief in
meinem Leben. Der vergangene Montag ist für
mich der traurigste und fürchterlichste Tag gewesen.
Jhr Vater, den ich noch nicht kannte, kam mit
einem Edelmann und zween Jägern in unsern Hof
angesprengt. Jch hörte ihn mit Ungestüm nach
meinem Vater fragen, und sah aus dem Fenster.
Bist du die Hur? rief er zu mir herauf. Jch
wußte nicht, was ich aus dem Mann machen soll-
te? und lief zitternd zu meinem Vater. Als wir
hinunter wollten, kam Jhr Vater uns schon auf
der Treppe mit dem Edelmann entgegen. -- Jst Er
der Amtmann Siegwart? fragte er. Ja, mein
Herr! antwortete mein Vater, was befehlen Sie?
-- Nichts befehlen! rief Jhr Vater, und kam die
Treppe vollends herauf. -- Er ist ein Schurke, daß
Ers weis! Er will meinen Sohn verführen! --
Das ist wohl das saubre Mensch da, (indem er sich



Zween Tage darauf kamen Briefe von Thereſen
und ihrem Vater. Kronhelm erbrach ſie mit Zit-
tern und dem baͤngſten Herzklopfen. Sie ſchrieb
ihm folgendes:

Theureſter Freund!

Jch ſchreib Jhnen mit dem kummervollſten Her-
zen, und mit naſſen Augen den letzten Brief in
meinem Leben. Der vergangene Montag iſt fuͤr
mich der traurigſte und fuͤrchterlichſte Tag geweſen.
Jhr Vater, den ich noch nicht kannte, kam mit
einem Edelmann und zween Jaͤgern in unſern Hof
angeſprengt. Jch hoͤrte ihn mit Ungeſtuͤm nach
meinem Vater fragen, und ſah aus dem Fenſter.
Biſt du die Hur? rief er zu mir herauf. Jch
wußte nicht, was ich aus dem Mann machen ſoll-
te? und lief zitternd zu meinem Vater. Als wir
hinunter wollten, kam Jhr Vater uns ſchon auf
der Treppe mit dem Edelmann entgegen. — Jſt Er
der Amtmann Siegwart? fragte er. Ja, mein
Herr! antwortete mein Vater, was befehlen Sie?
— Nichts befehlen! rief Jhr Vater, und kam die
Treppe vollends herauf. — Er iſt ein Schurke, daß
Ers weis! Er will meinen Sohn verfuͤhren! —
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[460/0040] Zween Tage darauf kamen Briefe von Thereſen und ihrem Vater. Kronhelm erbrach ſie mit Zit- tern und dem baͤngſten Herzklopfen. Sie ſchrieb ihm folgendes: Theureſter Freund! Jch ſchreib Jhnen mit dem kummervollſten Her- zen, und mit naſſen Augen den letzten Brief in meinem Leben. Der vergangene Montag iſt fuͤr mich der traurigſte und fuͤrchterlichſte Tag geweſen. Jhr Vater, den ich noch nicht kannte, kam mit einem Edelmann und zween Jaͤgern in unſern Hof angeſprengt. Jch hoͤrte ihn mit Ungeſtuͤm nach meinem Vater fragen, und ſah aus dem Fenſter. Biſt du die Hur? rief er zu mir herauf. Jch wußte nicht, was ich aus dem Mann machen ſoll- te? und lief zitternd zu meinem Vater. Als wir hinunter wollten, kam Jhr Vater uns ſchon auf der Treppe mit dem Edelmann entgegen. — Jſt Er der Amtmann Siegwart? fragte er. Ja, mein Herr! antwortete mein Vater, was befehlen Sie? — Nichts befehlen! rief Jhr Vater, und kam die Treppe vollends herauf. — Er iſt ein Schurke, daß Ers weis! Er will meinen Sohn verfuͤhren! — Das iſt wohl das ſaubre Menſch da, (indem er ſich

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/40>, abgerufen am 24.11.2024.