Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.Vorwürfe, und konnte eine Thräne nicht verber- gen, die ihm ins Auge schoß. Gern wär er an ihr Herz gesunken, und hätte sein beleidigtes Mäd- chen um Verzeihung gebeten, aber die vielen Gäste, die zugegen waren, hielten ihn zurück. Der, ihm verhaßte Hofrath Schrager, zog sie nun zum Tanz auf. Es ward ihm kalt und warm, als er den Mann sah. Er tanzte, um seine Verwirrung zu verbergen, mit dem nächsten besten Mädchen, seiner Mariane gegen über. Sie tanzte ganz kalt, und nachläßig mit dem Hofrath, und warf zuweilen einen liebevollen Blick auf ihren Jüng- ling. Als Mariane mit Dahlmund schwäbisch tanzte, setzte sich Siegwart allein in einen Winkel auf dem Saal, und hatte lauter traurige Gedan- ken. Mariane legte ihre linke Hand auf Dahl- munds Schulter, und flog so mit ihm auf dem Saal herum. Dieser Anschein von Vertraulich- keit kränkte seine zarte Seele tief, zumal da es sonst kein Mädchen auf dem Saal so machte. Er sah zwar nachher, daß dieses bey Marianen blos Gewohnheit war, weil sie es bey jedem Tänzer ohne Unterschied so machte; aber es that ihm doch im Herzen weh, daß die Geliebte seiner Seele auch nur scheinen sollte, ausser ihm mit einem Menschen Vorwuͤrfe, und konnte eine Thraͤne nicht verber- gen, die ihm ins Auge ſchoß. Gern waͤr er an ihr Herz geſunken, und haͤtte ſein beleidigtes Maͤd- chen um Verzeihung gebeten, aber die vielen Gaͤſte, die zugegen waren, hielten ihn zuruͤck. Der, ihm verhaßte Hofrath Schrager, zog ſie nun zum Tanz auf. Es ward ihm kalt und warm, als er den Mann ſah. Er tanzte, um ſeine Verwirrung zu verbergen, mit dem naͤchſten beſten Maͤdchen, ſeiner Mariane gegen uͤber. Sie tanzte ganz kalt, und nachlaͤßig mit dem Hofrath, und warf zuweilen einen liebevollen Blick auf ihren Juͤng- ling. Als Mariane mit Dahlmund ſchwaͤbiſch tanzte, ſetzte ſich Siegwart allein in einen Winkel auf dem Saal, und hatte lauter traurige Gedan- ken. Mariane legte ihre linke Hand auf Dahl- munds Schulter, und flog ſo mit ihm auf dem Saal herum. Dieſer Anſchein von Vertraulich- keit kraͤnkte ſeine zarte Seele tief, zumal da es ſonſt kein Maͤdchen auf dem Saal ſo machte. Er ſah zwar nachher, daß dieſes bey Marianen blos Gewohnheit war, weil ſie es bey jedem Taͤnzer ohne Unterſchied ſo machte; aber es that ihm doch im Herzen weh, daß die Geliebte ſeiner Seele auch nur ſcheinen ſollte, auſſer ihm mit einem Menſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0398" n="818"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Vorwuͤrfe, und konnte eine Thraͤne nicht verber-<lb/> gen, die ihm ins Auge ſchoß. Gern waͤr er an<lb/> ihr Herz geſunken, und haͤtte ſein beleidigtes Maͤd-<lb/> chen um Verzeihung gebeten, aber die vielen Gaͤſte,<lb/> die zugegen waren, hielten ihn zuruͤck. Der, ihm<lb/> verhaßte Hofrath Schrager, zog ſie nun zum<lb/> Tanz auf. Es ward ihm kalt und warm, als er<lb/> den Mann ſah. Er tanzte, um ſeine Verwirrung<lb/> zu verbergen, mit dem naͤchſten beſten Maͤdchen,<lb/> ſeiner Mariane gegen uͤber. Sie tanzte ganz<lb/> kalt, und nachlaͤßig mit dem Hofrath, und warf<lb/> zuweilen einen liebevollen Blick auf ihren Juͤng-<lb/> ling. Als Mariane mit Dahlmund ſchwaͤbiſch<lb/> tanzte, ſetzte ſich Siegwart allein in einen Winkel<lb/> auf dem Saal, und hatte lauter traurige Gedan-<lb/> ken. Mariane legte ihre linke Hand auf Dahl-<lb/> munds Schulter, und flog ſo mit ihm auf dem<lb/> Saal herum. Dieſer Anſchein von Vertraulich-<lb/> keit kraͤnkte ſeine zarte Seele tief, zumal da es<lb/> ſonſt kein Maͤdchen auf dem Saal ſo machte. Er<lb/> ſah zwar nachher, daß dieſes bey Marianen blos<lb/> Gewohnheit war, weil ſie es bey jedem Taͤnzer<lb/> ohne Unterſchied ſo machte; aber es that ihm doch<lb/> im Herzen weh, daß die Geliebte ſeiner Seele auch<lb/> nur ſcheinen ſollte, auſſer ihm mit einem Menſchen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [818/0398]
Vorwuͤrfe, und konnte eine Thraͤne nicht verber-
gen, die ihm ins Auge ſchoß. Gern waͤr er an
ihr Herz geſunken, und haͤtte ſein beleidigtes Maͤd-
chen um Verzeihung gebeten, aber die vielen Gaͤſte,
die zugegen waren, hielten ihn zuruͤck. Der, ihm
verhaßte Hofrath Schrager, zog ſie nun zum
Tanz auf. Es ward ihm kalt und warm, als er
den Mann ſah. Er tanzte, um ſeine Verwirrung
zu verbergen, mit dem naͤchſten beſten Maͤdchen,
ſeiner Mariane gegen uͤber. Sie tanzte ganz
kalt, und nachlaͤßig mit dem Hofrath, und warf
zuweilen einen liebevollen Blick auf ihren Juͤng-
ling. Als Mariane mit Dahlmund ſchwaͤbiſch
tanzte, ſetzte ſich Siegwart allein in einen Winkel
auf dem Saal, und hatte lauter traurige Gedan-
ken. Mariane legte ihre linke Hand auf Dahl-
munds Schulter, und flog ſo mit ihm auf dem
Saal herum. Dieſer Anſchein von Vertraulich-
keit kraͤnkte ſeine zarte Seele tief, zumal da es
ſonſt kein Maͤdchen auf dem Saal ſo machte. Er
ſah zwar nachher, daß dieſes bey Marianen blos
Gewohnheit war, weil ſie es bey jedem Taͤnzer
ohne Unterſchied ſo machte; aber es that ihm doch
im Herzen weh, daß die Geliebte ſeiner Seele auch
nur ſcheinen ſollte, auſſer ihm mit einem Menſchen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |