neuem ihre Freuden über sie in vollem Maas aus; jeder Kuß war ein Tropfen aus der Schaale der Liebe, die nur keuschen Liebenden gereicht wird. Eine Nachtigall saß auf dem Zweig des nächsten Apfelbaums, und sang ihnen noch mehr Wollust ins Herz. Endlich kam auch Marianens Freun- din zu ihnen. Dieß störte sie in ihrer Freude nicht. Mariane gab ihrem Siegwart in ihrer Ge- genwart Küsse, und blickte ihn noch eben so zärt- lich an; denn ihre Freundin war mit ihr aufs innigste verbunden, und hatte ihr auch ehmals die Geschichte ihres Herzens anvertraut. Sie sagte ihrem Siegwart, er möchte das nächstemal wieder ins Konzert kommen, zumal da es das vorletzte sey. Jhre Schwägerinn sey wieder krank, und könne also nicht auflauren. Dann sprachen sie wieder von Kronhelm und Theresen; und endlich gieng Siegwart so selig und vergnügt wieder nach der Stadt, als er seit langer Zeit nicht gewesen war.
Zu Haus fieng er sogleich einen Brief an Kron- helm und seine Schwester an, der aber, in sei- ner Freude, so unzusammenhängend ward, daß er ihn wieder zerriß. Nun dachte er ernstlich drauf,
F f f
neuem ihre Freuden uͤber ſie in vollem Maas aus; jeder Kuß war ein Tropfen aus der Schaale der Liebe, die nur keuſchen Liebenden gereicht wird. Eine Nachtigall ſaß auf dem Zweig des naͤchſten Apfelbaums, und ſang ihnen noch mehr Wolluſt ins Herz. Endlich kam auch Marianens Freun- din zu ihnen. Dieß ſtoͤrte ſie in ihrer Freude nicht. Mariane gab ihrem Siegwart in ihrer Ge- genwart Kuͤſſe, und blickte ihn noch eben ſo zaͤrt- lich an; denn ihre Freundin war mit ihr aufs innigſte verbunden, und hatte ihr auch ehmals die Geſchichte ihres Herzens anvertraut. Sie ſagte ihrem Siegwart, er moͤchte das naͤchſtemal wieder ins Konzert kommen, zumal da es das vorletzte ſey. Jhre Schwaͤgerinn ſey wieder krank, und koͤnne alſo nicht auflauren. Dann ſprachen ſie wieder von Kronhelm und Thereſen; und endlich gieng Siegwart ſo ſelig und vergnuͤgt wieder nach der Stadt, als er ſeit langer Zeit nicht geweſen war.
Zu Haus fieng er ſogleich einen Brief an Kron- helm und ſeine Schweſter an, der aber, in ſei- ner Freude, ſo unzuſammenhaͤngend ward, daß er ihn wieder zerriß. Nun dachte er ernſtlich drauf,
F f f
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0389"n="809"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
neuem ihre Freuden uͤber ſie in vollem Maas aus;<lb/>
jeder Kuß war ein Tropfen aus der Schaale der<lb/>
Liebe, die nur keuſchen Liebenden gereicht wird.<lb/>
Eine Nachtigall ſaß auf dem Zweig des naͤchſten<lb/>
Apfelbaums, und ſang ihnen noch mehr Wolluſt<lb/>
ins Herz. Endlich kam auch Marianens Freun-<lb/>
din zu ihnen. Dieß ſtoͤrte ſie in ihrer Freude<lb/>
nicht. Mariane gab ihrem Siegwart in ihrer Ge-<lb/>
genwart Kuͤſſe, und blickte ihn noch eben ſo zaͤrt-<lb/>
lich an; denn ihre Freundin war mit ihr aufs<lb/>
innigſte verbunden, und hatte ihr auch ehmals die<lb/>
Geſchichte ihres Herzens anvertraut. Sie ſagte<lb/>
ihrem Siegwart, er moͤchte das naͤchſtemal wieder<lb/>
ins Konzert kommen, zumal da es das vorletzte<lb/>ſey. Jhre Schwaͤgerinn ſey wieder krank, und<lb/>
koͤnne alſo nicht auflauren. Dann ſprachen ſie<lb/>
wieder von Kronhelm und Thereſen; und endlich<lb/>
gieng Siegwart ſo ſelig und vergnuͤgt wieder nach<lb/>
der Stadt, als er ſeit langer Zeit nicht geweſen<lb/>
war.</p><lb/><p>Zu Haus fieng er ſogleich einen Brief an Kron-<lb/>
helm und ſeine Schweſter an, der aber, in ſei-<lb/>
ner Freude, ſo unzuſammenhaͤngend ward, daß er<lb/>
ihn wieder zerriß. Nun dachte er ernſtlich drauf,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F f f</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[809/0389]
neuem ihre Freuden uͤber ſie in vollem Maas aus;
jeder Kuß war ein Tropfen aus der Schaale der
Liebe, die nur keuſchen Liebenden gereicht wird.
Eine Nachtigall ſaß auf dem Zweig des naͤchſten
Apfelbaums, und ſang ihnen noch mehr Wolluſt
ins Herz. Endlich kam auch Marianens Freun-
din zu ihnen. Dieß ſtoͤrte ſie in ihrer Freude
nicht. Mariane gab ihrem Siegwart in ihrer Ge-
genwart Kuͤſſe, und blickte ihn noch eben ſo zaͤrt-
lich an; denn ihre Freundin war mit ihr aufs
innigſte verbunden, und hatte ihr auch ehmals die
Geſchichte ihres Herzens anvertraut. Sie ſagte
ihrem Siegwart, er moͤchte das naͤchſtemal wieder
ins Konzert kommen, zumal da es das vorletzte
ſey. Jhre Schwaͤgerinn ſey wieder krank, und
koͤnne alſo nicht auflauren. Dann ſprachen ſie
wieder von Kronhelm und Thereſen; und endlich
gieng Siegwart ſo ſelig und vergnuͤgt wieder nach
der Stadt, als er ſeit langer Zeit nicht geweſen
war.
Zu Haus fieng er ſogleich einen Brief an Kron-
helm und ſeine Schweſter an, der aber, in ſei-
ner Freude, ſo unzuſammenhaͤngend ward, daß er
ihn wieder zerriß. Nun dachte er ernſtlich drauf,
F f f
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/389>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.