Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



ich einen Holzweg, auf dem ich gerade fort ritt.
Es ward schon sehr dunkel, und der Weg war
mir gänzlich unbekannt. Endlich kam ich aus
dem Holz, und ungefähr um eilf Uhr in ein
Dorf, wo ich noch in einer Hütte Licht sah und
mich erkundigte, wo ich wäre? Ein altes Müt-
terchen sagte mir, das Dorf heisse Reisensburg,
und lieg eine gute halbe Stunde von Günzburg.
Mit dem Namen: Günzburg fuhr der Gedanke
durch meine Seele, unter die kaiserlichen Völker
zu gehen, und mich bey unserm Hauptmann an-
werben zu lassen. Bey dem Gedanken ward mir
auf Einmal wohl, denn ich sah nun einen Aus-
weg, da mirs vorher war, als ob ich in einem
Jrrgang wandelte. Krieg und Tod war mir Eins;
denn was kann ich anders wünschen, als den
Tod? -- Jch spornte mein Pferd, und kam nach
einer Viertelstunde zu Günzburg an. Jn der
Krone stieg ich ab, weil ich wuste, daß der Haupt-
mann da logirt; und als ich hörte, daß er noch
nicht zu Bette sey, ließ ich mich bey ihm melden,
und trug ihm meine Absicht vor. Er nahm mich
mit Freuden auf, und nun geh ich in vier oder
fünf Tagen auf der Donau als Freywilliger mit
dem Transport nach Schlesien, wo vermuthlich



ich einen Holzweg, auf dem ich gerade fort ritt.
Es ward ſchon ſehr dunkel, und der Weg war
mir gaͤnzlich unbekannt. Endlich kam ich aus
dem Holz, und ungefaͤhr um eilf Uhr in ein
Dorf, wo ich noch in einer Huͤtte Licht ſah und
mich erkundigte, wo ich waͤre? Ein altes Muͤt-
terchen ſagte mir, das Dorf heiſſe Reiſensburg,
und lieg eine gute halbe Stunde von Guͤnzburg.
Mit dem Namen: Guͤnzburg fuhr der Gedanke
durch meine Seele, unter die kaiſerlichen Voͤlker
zu gehen, und mich bey unſerm Hauptmann an-
werben zu laſſen. Bey dem Gedanken ward mir
auf Einmal wohl, denn ich ſah nun einen Aus-
weg, da mirs vorher war, als ob ich in einem
Jrrgang wandelte. Krieg und Tod war mir Eins;
denn was kann ich anders wuͤnſchen, als den
Tod? — Jch ſpornte mein Pferd, und kam nach
einer Viertelſtunde zu Guͤnzburg an. Jn der
Krone ſtieg ich ab, weil ich wuſte, daß der Haupt-
mann da logirt; und als ich hoͤrte, daß er noch
nicht zu Bette ſey, ließ ich mich bey ihm melden,
und trug ihm meine Abſicht vor. Er nahm mich
mit Freuden auf, und nun geh ich in vier oder
fuͤnf Tagen auf der Donau als Freywilliger mit
dem Transport nach Schleſien, wo vermuthlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p><pb facs="#f0352" n="772"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ich einen Holzweg, auf dem ich gerade fort ritt.<lb/>
Es ward &#x017F;chon &#x017F;ehr dunkel, und der Weg war<lb/>
mir ga&#x0364;nzlich unbekannt. Endlich kam ich aus<lb/>
dem Holz, und ungefa&#x0364;hr um eilf Uhr in ein<lb/>
Dorf, wo ich noch in einer Hu&#x0364;tte Licht &#x017F;ah und<lb/>
mich erkundigte, wo ich wa&#x0364;re? Ein altes Mu&#x0364;t-<lb/>
terchen &#x017F;agte mir, das Dorf hei&#x017F;&#x017F;e Rei&#x017F;ensburg,<lb/>
und lieg eine gute halbe Stunde von Gu&#x0364;nzburg.<lb/>
Mit dem Namen: Gu&#x0364;nzburg fuhr der Gedanke<lb/>
durch meine Seele, unter die kai&#x017F;erlichen Vo&#x0364;lker<lb/>
zu gehen, und mich bey un&#x017F;erm Hauptmann an-<lb/>
werben zu la&#x017F;&#x017F;en. Bey dem Gedanken ward mir<lb/>
auf Einmal wohl, denn ich &#x017F;ah nun einen Aus-<lb/>
weg, da mirs vorher war, als ob ich in einem<lb/>
Jrrgang wandelte. Krieg und Tod war mir Eins;<lb/>
denn was kann ich anders wu&#x0364;n&#x017F;chen, als den<lb/>
Tod? &#x2014; Jch &#x017F;pornte mein Pferd, und kam nach<lb/>
einer Viertel&#x017F;tunde zu Gu&#x0364;nzburg an. Jn der<lb/>
Krone &#x017F;tieg ich ab, weil ich wu&#x017F;te, daß der Haupt-<lb/>
mann da logirt; und als ich ho&#x0364;rte, daß er noch<lb/>
nicht zu Bette &#x017F;ey, ließ ich mich bey ihm melden,<lb/>
und trug ihm meine Ab&#x017F;icht vor. Er nahm mich<lb/>
mit Freuden auf, und nun geh ich in vier oder<lb/>
fu&#x0364;nf Tagen auf der Donau als Freywilliger mit<lb/>
dem Transport nach Schle&#x017F;ien, wo vermuthlich<lb/></p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[772/0352] ich einen Holzweg, auf dem ich gerade fort ritt. Es ward ſchon ſehr dunkel, und der Weg war mir gaͤnzlich unbekannt. Endlich kam ich aus dem Holz, und ungefaͤhr um eilf Uhr in ein Dorf, wo ich noch in einer Huͤtte Licht ſah und mich erkundigte, wo ich waͤre? Ein altes Muͤt- terchen ſagte mir, das Dorf heiſſe Reiſensburg, und lieg eine gute halbe Stunde von Guͤnzburg. Mit dem Namen: Guͤnzburg fuhr der Gedanke durch meine Seele, unter die kaiſerlichen Voͤlker zu gehen, und mich bey unſerm Hauptmann an- werben zu laſſen. Bey dem Gedanken ward mir auf Einmal wohl, denn ich ſah nun einen Aus- weg, da mirs vorher war, als ob ich in einem Jrrgang wandelte. Krieg und Tod war mir Eins; denn was kann ich anders wuͤnſchen, als den Tod? — Jch ſpornte mein Pferd, und kam nach einer Viertelſtunde zu Guͤnzburg an. Jn der Krone ſtieg ich ab, weil ich wuſte, daß der Haupt- mann da logirt; und als ich hoͤrte, daß er noch nicht zu Bette ſey, ließ ich mich bey ihm melden, und trug ihm meine Abſicht vor. Er nahm mich mit Freuden auf, und nun geh ich in vier oder fuͤnf Tagen auf der Donau als Freywilliger mit dem Transport nach Schleſien, wo vermuthlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/352
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 772. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/352>, abgerufen am 22.11.2024.