Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.gleich wieder nieder sitzen. Wir sind gute Freun- de, Herr Amtmann, sagte er, und müssen uns noch näher kennen lernen. Keine Komplimente! -- So kennt Sie meinen Neffen, gutes Mädchen, und liebt ihn auch? Nicht wahr? Scheuen Sie sich nur nicht, es zu sagen! Jch bins wohl zu- frieden! Er verdient Sie, und ist Jhnen auch gewiß recht gut. Fassen Sie sich nur! Es ist mir recht lieb. Mein Wort haben Sie. -- O liebster Bru- der, es war mein Glück, daß er so freundlich war, und daß ich weinen konnte; sonst wäre mein Herz zersprungen. Jch muste mein Schnupftuch vors Gesicht halten, so sehr weint ich. -- Diese Thränen sind alles werth, sagte er; und dann zu unserm Vater: Unsre Kinder sind einander auch werth; nicht wahr, lieber Herr Amtmann? Mein Neffe hat eine gute Wahl getroffen. Ein solches Mädchen hätt ich in meiner Jugend auch geheira- thet, wenn ich eins gefunden hätte. Jhr sollt mir an Kindesstatt seyn! Sie lieben ihn doch noch recht herzlich? -- Hier nahm er mich bey der Hand. O Bruder, ich dacht, ich hält in Thränen zerfliessen mögen. So ein Herr ist mehr werth, als die ganze Welt! Unser bester Vater sprach kein Wort, und ward ganz blaß. -- Mein Bruder gleich wieder nieder ſitzen. Wir ſind gute Freun- de, Herr Amtmann, ſagte er, und muͤſſen uns noch naͤher kennen lernen. Keine Komplimente! — So kennt Sie meinen Neffen, gutes Maͤdchen, und liebt ihn auch? Nicht wahr? Scheuen Sie ſich nur nicht, es zu ſagen! Jch bins wohl zu- frieden! Er verdient Sie, und iſt Jhnen auch gewiß recht gut. Faſſen Sie ſich nur! Es iſt mir recht lieb. Mein Wort haben Sie. — O liebſter Bru- der, es war mein Gluͤck, daß er ſo freundlich war, und daß ich weinen konnte; ſonſt waͤre mein Herz zerſprungen. Jch muſte mein Schnupftuch vors Geſicht halten, ſo ſehr weint ich. — Dieſe Thraͤnen ſind alles werth, ſagte er; und dann zu unſerm Vater: Unſre Kinder ſind einander auch werth; nicht wahr, lieber Herr Amtmann? Mein Neffe hat eine gute Wahl getroffen. Ein ſolches Maͤdchen haͤtt ich in meiner Jugend auch geheira- thet, wenn ich eins gefunden haͤtte. Jhr ſollt mir an Kindesſtatt ſeyn! Sie lieben ihn doch noch recht herzlich? — Hier nahm er mich bey der Hand. O Bruder, ich dacht, ich haͤlt in Thraͤnen zerflieſſen moͤgen. So ein Herr iſt mehr werth, als die ganze Welt! Unſer beſter Vater ſprach kein Wort, und ward ganz blaß. — Mein Bruder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0338" n="758"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> gleich wieder nieder ſitzen. Wir ſind gute Freun-<lb/> de, Herr Amtmann, ſagte er, und muͤſſen uns<lb/> noch naͤher kennen lernen. Keine Komplimente! —<lb/> So kennt Sie meinen Neffen, gutes Maͤdchen,<lb/> und liebt ihn auch? Nicht wahr? Scheuen<lb/> Sie ſich nur nicht, es zu ſagen! Jch bins wohl zu-<lb/> frieden! Er verdient Sie, und iſt Jhnen auch gewiß<lb/> recht gut. Faſſen Sie ſich nur! Es iſt mir recht<lb/> lieb. Mein Wort haben Sie. — O liebſter Bru-<lb/> der, es war mein Gluͤck, daß er ſo freundlich war,<lb/> und daß ich weinen konnte; ſonſt waͤre mein<lb/> Herz zerſprungen. Jch muſte mein Schnupftuch<lb/> vors Geſicht halten, ſo ſehr weint ich. — Dieſe<lb/> Thraͤnen ſind alles werth, ſagte er; und dann zu<lb/> unſerm Vater: Unſre Kinder ſind einander auch<lb/> werth; nicht wahr, lieber Herr Amtmann? Mein<lb/> Neffe hat eine gute Wahl getroffen. Ein ſolches<lb/> Maͤdchen haͤtt ich in meiner Jugend auch geheira-<lb/> thet, wenn ich eins gefunden haͤtte. Jhr ſollt mir<lb/> an Kindesſtatt ſeyn! Sie lieben ihn doch noch<lb/> recht herzlich? — Hier nahm er mich bey der<lb/> Hand. O Bruder, ich dacht, ich haͤlt in Thraͤnen<lb/> zerflieſſen moͤgen. So ein Herr iſt mehr werth,<lb/> als die ganze Welt! Unſer beſter Vater ſprach kein<lb/> Wort, und ward ganz blaß. — Mein Bruder<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [758/0338]
gleich wieder nieder ſitzen. Wir ſind gute Freun-
de, Herr Amtmann, ſagte er, und muͤſſen uns
noch naͤher kennen lernen. Keine Komplimente! —
So kennt Sie meinen Neffen, gutes Maͤdchen,
und liebt ihn auch? Nicht wahr? Scheuen
Sie ſich nur nicht, es zu ſagen! Jch bins wohl zu-
frieden! Er verdient Sie, und iſt Jhnen auch gewiß
recht gut. Faſſen Sie ſich nur! Es iſt mir recht
lieb. Mein Wort haben Sie. — O liebſter Bru-
der, es war mein Gluͤck, daß er ſo freundlich war,
und daß ich weinen konnte; ſonſt waͤre mein
Herz zerſprungen. Jch muſte mein Schnupftuch
vors Geſicht halten, ſo ſehr weint ich. — Dieſe
Thraͤnen ſind alles werth, ſagte er; und dann zu
unſerm Vater: Unſre Kinder ſind einander auch
werth; nicht wahr, lieber Herr Amtmann? Mein
Neffe hat eine gute Wahl getroffen. Ein ſolches
Maͤdchen haͤtt ich in meiner Jugend auch geheira-
thet, wenn ich eins gefunden haͤtte. Jhr ſollt mir
an Kindesſtatt ſeyn! Sie lieben ihn doch noch
recht herzlich? — Hier nahm er mich bey der
Hand. O Bruder, ich dacht, ich haͤlt in Thraͤnen
zerflieſſen moͤgen. So ein Herr iſt mehr werth,
als die ganze Welt! Unſer beſter Vater ſprach kein
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Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 758. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/338>, abgerufen am 15.08.2024. |