entbehren konnte, und doch keinen Menschen auf der Welt wuste, dem er sich so ganz anvertrauen könnte, denn mit Dahlmund war er nicht vertraut genug. Nach vielen Thränen, und tausend aus- gestoßnen Seufzern legte er sich endlich zu Bette.
Um 4 Uhr weckte ihn Kronhelm wieder, und war so bewegt, daß er kein Wort sprechen konnte. Sie tranken stillschweigend mit einander Kaffee, packten das noch übrige zusammen, und reisten um 5 Uhr ab. Mariane trat in ihrem Nachtzeug ans Fenster, grüßte Kronhelm noch einmal halb freund- lich und halb traurig; auf ihren Siegwart warf sie einen schmachtenden und liebevollen Blick. Vor dem Thor fragte Siegwart: Weis sies, daß ich dich nur etliche Stunden weit begleite, und heut wieder zurückkomme? Ja, ich hab ihrs gestern gesagt, ant- wortete Kronhelm. Weil Siegwart im Reiten ne- ben der Kutsche nicht gut mit seinem Freunde spre- chen konnte, so ließ er den Marx auf sein Pferd sitzen, und setzte sich zu ihm hinein, denn jetzt, in der freyen Luft, wurden ihre Herzen leichter, und sie konnten eher mit einander sprechen. Jhre Un- terhaltung war, wie natürlich, traurig. Jhre Blicke sprachen mehr, als ihre Zunge. Grüß Theresen tausendmal! sagte Kronhelm; schreib mir alles, was
entbehren konnte, und doch keinen Menſchen auf der Welt wuſte, dem er ſich ſo ganz anvertrauen koͤnnte, denn mit Dahlmund war er nicht vertraut genug. Nach vielen Thraͤnen, und tauſend aus- geſtoßnen Seufzern legte er ſich endlich zu Bette.
Um 4 Uhr weckte ihn Kronhelm wieder, und war ſo bewegt, daß er kein Wort ſprechen konnte. Sie tranken ſtillſchweigend mit einander Kaffee, packten das noch uͤbrige zuſammen, und reiſten um 5 Uhr ab. Mariane trat in ihrem Nachtzeug ans Fenſter, gruͤßte Kronhelm noch einmal halb freund- lich und halb traurig; auf ihren Siegwart warf ſie einen ſchmachtenden und liebevollen Blick. Vor dem Thor fragte Siegwart: Weis ſies, daß ich dich nur etliche Stunden weit begleite, und heut wieder zuruͤckkomme? Ja, ich hab ihrs geſtern geſagt, ant- wortete Kronhelm. Weil Siegwart im Reiten ne- ben der Kutſche nicht gut mit ſeinem Freunde ſpre- chen konnte, ſo ließ er den Marx auf ſein Pferd ſitzen, und ſetzte ſich zu ihm hinein, denn jetzt, in der freyen Luft, wurden ihre Herzen leichter, und ſie konnten eher mit einander ſprechen. Jhre Un- terhaltung war, wie natuͤrlich, traurig. Jhre Blicke ſprachen mehr, als ihre Zunge. Gruͤß Thereſen tauſendmal! ſagte Kronhelm; ſchreib mir alles, was
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0328"n="748"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
entbehren konnte, und doch keinen Menſchen auf<lb/>
der Welt wuſte, dem er ſich ſo ganz anvertrauen<lb/>
koͤnnte, denn mit Dahlmund war er nicht vertraut<lb/>
genug. Nach vielen Thraͤnen, und tauſend aus-<lb/>
geſtoßnen Seufzern legte er ſich endlich zu Bette.</p><lb/><p>Um 4 Uhr weckte ihn Kronhelm wieder, und<lb/>
war ſo bewegt, daß er kein Wort ſprechen konnte.<lb/>
Sie tranken ſtillſchweigend mit einander Kaffee,<lb/>
packten das noch uͤbrige zuſammen, und reiſten um<lb/>
5 Uhr ab. Mariane trat in ihrem Nachtzeug ans<lb/>
Fenſter, gruͤßte Kronhelm noch einmal halb freund-<lb/>
lich und halb traurig; auf ihren Siegwart warf<lb/>ſie einen ſchmachtenden und liebevollen Blick. Vor<lb/>
dem Thor fragte Siegwart: Weis ſies, daß ich dich<lb/>
nur etliche Stunden weit begleite, und heut wieder<lb/>
zuruͤckkomme? Ja, ich hab ihrs geſtern geſagt, ant-<lb/>
wortete Kronhelm. Weil Siegwart im Reiten ne-<lb/>
ben der Kutſche nicht gut mit ſeinem Freunde ſpre-<lb/>
chen konnte, ſo ließ er den Marx auf ſein Pferd<lb/>ſitzen, und ſetzte ſich zu ihm hinein, denn jetzt, in<lb/>
der freyen Luft, wurden ihre Herzen leichter, und<lb/>ſie konnten eher mit einander ſprechen. Jhre Un-<lb/>
terhaltung war, wie natuͤrlich, traurig. Jhre Blicke<lb/>ſprachen mehr, als ihre Zunge. Gruͤß Thereſen<lb/>
tauſendmal! ſagte Kronhelm; ſchreib mir alles, was<lb/></p></div></body></text></TEI>
[748/0328]
entbehren konnte, und doch keinen Menſchen auf
der Welt wuſte, dem er ſich ſo ganz anvertrauen
koͤnnte, denn mit Dahlmund war er nicht vertraut
genug. Nach vielen Thraͤnen, und tauſend aus-
geſtoßnen Seufzern legte er ſich endlich zu Bette.
Um 4 Uhr weckte ihn Kronhelm wieder, und
war ſo bewegt, daß er kein Wort ſprechen konnte.
Sie tranken ſtillſchweigend mit einander Kaffee,
packten das noch uͤbrige zuſammen, und reiſten um
5 Uhr ab. Mariane trat in ihrem Nachtzeug ans
Fenſter, gruͤßte Kronhelm noch einmal halb freund-
lich und halb traurig; auf ihren Siegwart warf
ſie einen ſchmachtenden und liebevollen Blick. Vor
dem Thor fragte Siegwart: Weis ſies, daß ich dich
nur etliche Stunden weit begleite, und heut wieder
zuruͤckkomme? Ja, ich hab ihrs geſtern geſagt, ant-
wortete Kronhelm. Weil Siegwart im Reiten ne-
ben der Kutſche nicht gut mit ſeinem Freunde ſpre-
chen konnte, ſo ließ er den Marx auf ſein Pferd
ſitzen, und ſetzte ſich zu ihm hinein, denn jetzt, in
der freyen Luft, wurden ihre Herzen leichter, und
ſie konnten eher mit einander ſprechen. Jhre Un-
terhaltung war, wie natuͤrlich, traurig. Jhre Blicke
ſprachen mehr, als ihre Zunge. Gruͤß Thereſen
tauſendmal! ſagte Kronhelm; ſchreib mir alles, was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 748. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/328>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.