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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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schwerer zu machen, oder seine traurige Vorstellun-
gen und Ahndungen zu vergrössern. Kronhelm
packte indessen seine nöthigsten Sachen zusammen,
und nahm dann beym Hofrath Fischer, und eini-
gen wenigen Freunden Abschied. Seine ökonomi-
schen Umstände waren bald in Richtigkeit gebracht,
da er jedermann sogleich bezahlte. Gegen Abend
war er fertig, ohne daß er selber wuste, wie er
dazu gekommen war. Nun konnt er sich erst be-
sinnen, und an sich selber denken. Nun fiel ihm
erst die nahe Trennung von seinem Siegwart
schwer aufs Herz. Nun sollte er zum zweyten-
mal, und, Gott weis wie lange? sich von seinem
Herzensfreund, von dem Bruder seiner Therese,
der ihm, nach ihr, alles auf der Welt war, tren-
nen. Nun sollt' er einem Vater entgegen gehen,
der wenig oder gar kein menschliches Gefühl hatte,
der ihm das Kleinod seines Herzens rauben wollte.
Er saß in der Dämmerung, sah seinen Siegwart
an, und versank in die tiefste Nacht des Kummers.
Jn seiner Seele wälzten sich tausend Zweifel hin
und her. Seine Phantasie thürmte Gefahren auf
Gefahren vor ihm auf. Siegwarts Gesicht kam
ihm in der Dämmerung wie Theresens ihres vor.

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ſchwerer zu machen, oder ſeine traurige Vorſtellun-
gen und Ahndungen zu vergroͤſſern. Kronhelm
packte indeſſen ſeine noͤthigſten Sachen zuſammen,
und nahm dann beym Hofrath Fiſcher, und eini-
gen wenigen Freunden Abſchied. Seine oͤkonomi-
ſchen Umſtaͤnde waren bald in Richtigkeit gebracht,
da er jedermann ſogleich bezahlte. Gegen Abend
war er fertig, ohne daß er ſelber wuſte, wie er
dazu gekommen war. Nun konnt er ſich erſt be-
ſinnen, und an ſich ſelber denken. Nun fiel ihm
erſt die nahe Trennung von ſeinem Siegwart
ſchwer aufs Herz. Nun ſollte er zum zweyten-
mal, und, Gott weis wie lange? ſich von ſeinem
Herzensfreund, von dem Bruder ſeiner Thereſe,
der ihm, nach ihr, alles auf der Welt war, tren-
nen. Nun ſollt’ er einem Vater entgegen gehen,
der wenig oder gar kein menſchliches Gefuͤhl hatte,
der ihm das Kleinod ſeines Herzens rauben wollte.
Er ſaß in der Daͤmmerung, ſah ſeinen Siegwart
an, und verſank in die tiefſte Nacht des Kummers.
Jn ſeiner Seele waͤlzten ſich tauſend Zweifel hin
und her. Seine Phantaſie thuͤrmte Gefahren auf
Gefahren vor ihm auf. Siegwarts Geſicht kam
ihm in der Daͤmmerung wie Thereſens ihres vor.

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[745/0325] ſchwerer zu machen, oder ſeine traurige Vorſtellun- gen und Ahndungen zu vergroͤſſern. Kronhelm packte indeſſen ſeine noͤthigſten Sachen zuſammen, und nahm dann beym Hofrath Fiſcher, und eini- gen wenigen Freunden Abſchied. Seine oͤkonomi- ſchen Umſtaͤnde waren bald in Richtigkeit gebracht, da er jedermann ſogleich bezahlte. Gegen Abend war er fertig, ohne daß er ſelber wuſte, wie er dazu gekommen war. Nun konnt er ſich erſt be- ſinnen, und an ſich ſelber denken. Nun fiel ihm erſt die nahe Trennung von ſeinem Siegwart ſchwer aufs Herz. Nun ſollte er zum zweyten- mal, und, Gott weis wie lange? ſich von ſeinem Herzensfreund, von dem Bruder ſeiner Thereſe, der ihm, nach ihr, alles auf der Welt war, tren- nen. Nun ſollt’ er einem Vater entgegen gehen, der wenig oder gar kein menſchliches Gefuͤhl hatte, der ihm das Kleinod ſeines Herzens rauben wollte. Er ſaß in der Daͤmmerung, ſah ſeinen Siegwart an, und verſank in die tiefſte Nacht des Kummers. Jn ſeiner Seele waͤlzten ſich tauſend Zweifel hin und her. Seine Phantaſie thuͤrmte Gefahren auf Gefahren vor ihm auf. Siegwarts Geſicht kam ihm in der Daͤmmerung wie Thereſens ihres vor. B b b

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 745. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/325>, abgerufen am 22.11.2024.