Den Abend drauf ging Siegwart mit Kron- helm zu dem Hofrath Fischer, unter dem Vorwand, ein Konzert zu machen. Aber seine wahre Absicht war, seine Mariane noch einmal zu sehen, und von ihr Abschied zu nehmen. Der Hosrath wur- de gegen Siegwart immer höflicher, theils wegen seines guten Spielens, theils auch, und hauptsäch- lich, weil sich Siegwart jetzt täglich gut kleidete, denn er sah mehr auf äusserliche, als auf wesent- liche Vorzüge. Die Hofräthin liebte ihn seiner Artigkeit, seiner unbescholtnen Sitten, und seines edeln frommen Herzens wegen, täglich mehr, und ließ ihn ihre Achtung deutlich sehen. Joseph, Ma- rianens Bruder, that jetzt auch sehr freundschaft- lich, da er sah, daß ihn Siegwart sehr von an- dern unterscheide. Ueber Marianens Gesicht ver- breitete sich sichtbar eine ausserordentliche Heiterkeit, sobald ihr Geliebter kam. Sie stand von ihrer Stickerey auf, wo sie eben eine Schäferinn, und einen Schäfer, die im Grase bey einander ruhten, gezeichnet hatte. Sie war sehr beschästigt, die lie- ben Gäste zu bewirthen. Siegwart betrachtete in- dessen mit Entzücken ihre Stickerey. Sie trat hin- zu, sah sie ein paar Augenblicke an, und betrach- tete dann sein Gesicht, das mit Wohlgefallen auf
Den Abend drauf ging Siegwart mit Kron- helm zu dem Hofrath Fiſcher, unter dem Vorwand, ein Konzert zu machen. Aber ſeine wahre Abſicht war, ſeine Mariane noch einmal zu ſehen, und von ihr Abſchied zu nehmen. Der Hoſrath wur- de gegen Siegwart immer hoͤflicher, theils wegen ſeines guten Spielens, theils auch, und hauptſaͤch- lich, weil ſich Siegwart jetzt taͤglich gut kleidete, denn er ſah mehr auf aͤuſſerliche, als auf weſent- liche Vorzuͤge. Die Hofraͤthin liebte ihn ſeiner Artigkeit, ſeiner unbeſcholtnen Sitten, und ſeines edeln frommen Herzens wegen, taͤglich mehr, und ließ ihn ihre Achtung deutlich ſehen. Joſeph, Ma- rianens Bruder, that jetzt auch ſehr freundſchaft- lich, da er ſah, daß ihn Siegwart ſehr von an- dern unterſcheide. Ueber Marianens Geſicht ver- breitete ſich ſichtbar eine auſſerordentliche Heiterkeit, ſobald ihr Geliebter kam. Sie ſtand von ihrer Stickerey auf, wo ſie eben eine Schaͤferinn, und einen Schaͤfer, die im Graſe bey einander ruhten, gezeichnet hatte. Sie war ſehr beſchaͤſtigt, die lie- ben Gaͤſte zu bewirthen. Siegwart betrachtete in- deſſen mit Entzuͤcken ihre Stickerey. Sie trat hin- zu, ſah ſie ein paar Augenblicke an, und betrach- tete dann ſein Geſicht, das mit Wohlgefallen auf
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Den Abend drauf ging Siegwart mit Kron-
helm zu dem Hofrath Fiſcher, unter dem Vorwand,
ein Konzert zu machen. Aber ſeine wahre Abſicht
war, ſeine Mariane noch einmal zu ſehen, und
von ihr Abſchied zu nehmen. Der Hoſrath wur-
de gegen Siegwart immer hoͤflicher, theils wegen
ſeines guten Spielens, theils auch, und hauptſaͤch-
lich, weil ſich Siegwart jetzt taͤglich gut kleidete,
denn er ſah mehr auf aͤuſſerliche, als auf weſent-
liche Vorzuͤge. Die Hofraͤthin liebte ihn ſeiner
Artigkeit, ſeiner unbeſcholtnen Sitten, und ſeines
edeln frommen Herzens wegen, taͤglich mehr, und
ließ ihn ihre Achtung deutlich ſehen. Joſeph, Ma-
rianens Bruder, that jetzt auch ſehr freundſchaft-
lich, da er ſah, daß ihn Siegwart ſehr von an-
dern unterſcheide. Ueber Marianens Geſicht ver-
breitete ſich ſichtbar eine auſſerordentliche Heiterkeit,
ſobald ihr Geliebter kam. Sie ſtand von ihrer
Stickerey auf, wo ſie eben eine Schaͤferinn, und
einen Schaͤfer, die im Graſe bey einander ruhten,
gezeichnet hatte. Sie war ſehr beſchaͤſtigt, die lie-
ben Gaͤſte zu bewirthen. Siegwart betrachtete in-
deſſen mit Entzuͤcken ihre Stickerey. Sie trat hin-
zu, ſah ſie ein paar Augenblicke an, und betrach-
tete dann ſein Geſicht, das mit Wohlgefallen auf
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 709. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/289>, abgerufen am 22.11.2024.
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