Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



im Tod einander sagen müsten: Er hat uns um-
gebracht, und nun treffen wir ihn doch nicht an.
Heist das, seinen Eltern Freude machen, und ih-
nen für das lohnen, was sie an uns thaten? Heist
das, ein ehrlicher Kerl seyn, geschweige denn ein
Christ? Das heiß ich mir recht auf Ehre halten,
und ein Schurke gegen sich und andre werden!
Besinn dich, lieber Dahlmund! Sieh, du bist der
Welt viel schuldig, hast so gute Gaben, die dir Gott
gab zur Verwaltung, daß du Menschen segnest, und
sie glücklich machtest. Sieh, du hast uns, und wir sind
dir herzlich gut, und du bist uns Freundschaft schul-
dig! Wirf dein Leben nicht einem schlechten Kerl
hin. Handle nicht so gegen Gott, und dein eig-
nes Glück! Jch bitte dich um Gottes und um
deinetwillen, komm wieder zu dir selbst! Du bist
sonst ein Mensch und hast Religion, und willst
nun alles das mit Füssen treten. Nicht wahr, du
folgst mir, Dahlmund? Jndem umarmte er ihn.
Dahlmund ward gerührt, und weinte. Vergebt
mir, Brüder! rief er, daß ich so ein Narr war!
Jch wills nicht thun! Lieber mag man mich für
einen feigen Kerl halten!

Das bist du deswegen doch nicht, sagte Siegwart;
du hast dich letzthin männlich gewehrt, als dich die



im Tod einander ſagen muͤſten: Er hat uns um-
gebracht, und nun treffen wir ihn doch nicht an.
Heiſt das, ſeinen Eltern Freude machen, und ih-
nen fuͤr das lohnen, was ſie an uns thaten? Heiſt
das, ein ehrlicher Kerl ſeyn, geſchweige denn ein
Chriſt? Das heiß ich mir recht auf Ehre halten,
und ein Schurke gegen ſich und andre werden!
Beſinn dich, lieber Dahlmund! Sieh, du biſt der
Welt viel ſchuldig, haſt ſo gute Gaben, die dir Gott
gab zur Verwaltung, daß du Menſchen ſegneſt, und
ſie gluͤcklich machteſt. Sieh, du haſt uns, und wir ſind
dir herzlich gut, und du biſt uns Freundſchaft ſchul-
dig! Wirf dein Leben nicht einem ſchlechten Kerl
hin. Handle nicht ſo gegen Gott, und dein eig-
nes Gluͤck! Jch bitte dich um Gottes und um
deinetwillen, komm wieder zu dir ſelbſt! Du biſt
ſonſt ein Menſch und haſt Religion, und willſt
nun alles das mit Fuͤſſen treten. Nicht wahr, du
folgſt mir, Dahlmund? Jndem umarmte er ihn.
Dahlmund ward geruͤhrt, und weinte. Vergebt
mir, Bruͤder! rief er, daß ich ſo ein Narr war!
Jch wills nicht thun! Lieber mag man mich fuͤr
einen feigen Kerl halten!

Das biſt du deswegen doch nicht, ſagte Siegwart;
du haſt dich letzthin maͤnnlich gewehrt, als dich die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0286" n="706"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
im Tod einander &#x017F;agen mu&#x0364;&#x017F;ten: Er hat uns um-<lb/>
gebracht, und nun treffen wir ihn doch nicht an.<lb/>
Hei&#x017F;t das, &#x017F;einen Eltern Freude machen, und ih-<lb/>
nen fu&#x0364;r das lohnen, was &#x017F;ie an uns thaten? Hei&#x017F;t<lb/>
das, ein ehrlicher Kerl &#x017F;eyn, ge&#x017F;chweige denn ein<lb/>
Chri&#x017F;t? Das heiß ich mir recht auf Ehre halten,<lb/>
und ein Schurke gegen &#x017F;ich und andre werden!<lb/>
Be&#x017F;inn dich, lieber Dahlmund! Sieh, du bi&#x017F;t der<lb/>
Welt viel &#x017F;chuldig, ha&#x017F;t &#x017F;o gute Gaben, die dir Gott<lb/>
gab zur Verwaltung, daß du Men&#x017F;chen &#x017F;egne&#x017F;t, und<lb/>
&#x017F;ie glu&#x0364;cklich machte&#x017F;t. Sieh, du ha&#x017F;t uns, und wir &#x017F;ind<lb/>
dir herzlich gut, und du bi&#x017F;t uns Freund&#x017F;chaft &#x017F;chul-<lb/>
dig! Wirf dein Leben nicht einem &#x017F;chlechten Kerl<lb/>
hin. Handle nicht &#x017F;o gegen Gott, und dein eig-<lb/>
nes Glu&#x0364;ck! Jch bitte dich um Gottes und um<lb/>
deinetwillen, komm wieder zu dir &#x017F;elb&#x017F;t! Du bi&#x017F;t<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t ein Men&#x017F;ch und ha&#x017F;t Religion, und will&#x017F;t<lb/>
nun alles das mit Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en treten. Nicht wahr, du<lb/>
folg&#x017F;t mir, Dahlmund? Jndem umarmte er ihn.<lb/>
Dahlmund ward geru&#x0364;hrt, und weinte. Vergebt<lb/>
mir, Bru&#x0364;der! rief er, daß ich &#x017F;o ein Narr war!<lb/>
Jch wills nicht thun! Lieber mag man mich fu&#x0364;r<lb/>
einen feigen Kerl halten!</p><lb/>
        <p>Das bi&#x017F;t du deswegen doch nicht, &#x017F;agte Siegwart;<lb/>
du ha&#x017F;t dich letzthin ma&#x0364;nnlich gewehrt, als dich die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[706/0286] im Tod einander ſagen muͤſten: Er hat uns um- gebracht, und nun treffen wir ihn doch nicht an. Heiſt das, ſeinen Eltern Freude machen, und ih- nen fuͤr das lohnen, was ſie an uns thaten? Heiſt das, ein ehrlicher Kerl ſeyn, geſchweige denn ein Chriſt? Das heiß ich mir recht auf Ehre halten, und ein Schurke gegen ſich und andre werden! Beſinn dich, lieber Dahlmund! Sieh, du biſt der Welt viel ſchuldig, haſt ſo gute Gaben, die dir Gott gab zur Verwaltung, daß du Menſchen ſegneſt, und ſie gluͤcklich machteſt. Sieh, du haſt uns, und wir ſind dir herzlich gut, und du biſt uns Freundſchaft ſchul- dig! Wirf dein Leben nicht einem ſchlechten Kerl hin. Handle nicht ſo gegen Gott, und dein eig- nes Gluͤck! Jch bitte dich um Gottes und um deinetwillen, komm wieder zu dir ſelbſt! Du biſt ſonſt ein Menſch und haſt Religion, und willſt nun alles das mit Fuͤſſen treten. Nicht wahr, du folgſt mir, Dahlmund? Jndem umarmte er ihn. Dahlmund ward geruͤhrt, und weinte. Vergebt mir, Bruͤder! rief er, daß ich ſo ein Narr war! Jch wills nicht thun! Lieber mag man mich fuͤr einen feigen Kerl halten! Das biſt du deswegen doch nicht, ſagte Siegwart; du haſt dich letzthin maͤnnlich gewehrt, als dich die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/286
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/286>, abgerufen am 25.11.2024.