Mensch, sagte sie, dem man nichts recht machen kann; er will alles besser wissen. Sie wissen sich gut in ihn zu schicken, und das gefällt mir, u. s. w. Siegwart war über ihre Offenherzigkeit ganz be- zaubert, und zog tausend günstige Schlüsse daraus.
Als sie auf den Tanzsaal kamen, ward alles auf Marianen aufmerksam. Sie hatte ein Kleid von rosenrothem Tafft an, und glich in ihrer Hei- terkeit und der frischen Gesichtsfarbe der Göttin der Morgenröthe. Kronhelm hatte an der Tafel schon einen Platz für sie neben sich belegt. Noch vor dem Essen muste Siegwart eine Menuet mit ihr tanzen. Anfangs zitterte er, und machte fast alle Schritte falsch. Nach und nach kam er in den Gang, und tanzte recht zierlich. Alle ihre Bewegungen hatten die gröste Leichtigkeit und Un- gezwungenheit, und den schönsten Anstand. Sie tanzte nicht ängstlich nach dem Takte, sondern mit Empfindung und Gefühl, und machte viele Ab- änderungen. Sie sah unserm Siegwart immer ins Gesicht, so daß er oft die Blicke wegwenden, oder niederschlagen muste. Bey Tisch ward die Gesellschaft aufgeräumt und munter. Man sprach viel ins Allgemeine. Das Mädchen, das Kron- helm bediente, war eine lustige, etwas vorlaute
Menſch, ſagte ſie, dem man nichts recht machen kann; er will alles beſſer wiſſen. Sie wiſſen ſich gut in ihn zu ſchicken, und das gefaͤllt mir, u. ſ. w. Siegwart war uͤber ihre Offenherzigkeit ganz be- zaubert, und zog tauſend guͤnſtige Schluͤſſe daraus.
Als ſie auf den Tanzſaal kamen, ward alles auf Marianen aufmerkſam. Sie hatte ein Kleid von roſenrothem Tafft an, und glich in ihrer Hei- terkeit und der friſchen Geſichtsfarbe der Goͤttin der Morgenroͤthe. Kronhelm hatte an der Tafel ſchon einen Platz fuͤr ſie neben ſich belegt. Noch vor dem Eſſen muſte Siegwart eine Menuet mit ihr tanzen. Anfangs zitterte er, und machte faſt alle Schritte falſch. Nach und nach kam er in den Gang, und tanzte recht zierlich. Alle ihre Bewegungen hatten die groͤſte Leichtigkeit und Un- gezwungenheit, und den ſchoͤnſten Anſtand. Sie tanzte nicht aͤngſtlich nach dem Takte, ſondern mit Empfindung und Gefuͤhl, und machte viele Ab- aͤnderungen. Sie ſah unſerm Siegwart immer ins Geſicht, ſo daß er oft die Blicke wegwenden, oder niederſchlagen muſte. Bey Tiſch ward die Geſellſchaft aufgeraͤumt und munter. Man ſprach viel ins Allgemeine. Das Maͤdchen, das Kron- helm bediente, war eine luſtige, etwas vorlaute
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Menſch, ſagte ſie, dem man nichts recht machen
kann; er will alles beſſer wiſſen. Sie wiſſen ſich
gut in ihn zu ſchicken, und das gefaͤllt mir, u. ſ. w.
Siegwart war uͤber ihre Offenherzigkeit ganz be-
zaubert, und zog tauſend guͤnſtige Schluͤſſe daraus.
Als ſie auf den Tanzſaal kamen, ward alles
auf Marianen aufmerkſam. Sie hatte ein Kleid
von roſenrothem Tafft an, und glich in ihrer Hei-
terkeit und der friſchen Geſichtsfarbe der Goͤttin
der Morgenroͤthe. Kronhelm hatte an der Tafel
ſchon einen Platz fuͤr ſie neben ſich belegt. Noch
vor dem Eſſen muſte Siegwart eine Menuet mit
ihr tanzen. Anfangs zitterte er, und machte faſt
alle Schritte falſch. Nach und nach kam er in
den Gang, und tanzte recht zierlich. Alle ihre
Bewegungen hatten die groͤſte Leichtigkeit und Un-
gezwungenheit, und den ſchoͤnſten Anſtand. Sie
tanzte nicht aͤngſtlich nach dem Takte, ſondern mit
Empfindung und Gefuͤhl, und machte viele Ab-
aͤnderungen. Sie ſah unſerm Siegwart immer
ins Geſicht, ſo daß er oft die Blicke wegwenden,
oder niederſchlagen muſte. Bey Tiſch ward die
Geſellſchaft aufgeraͤumt und munter. Man ſprach
viel ins Allgemeine. Das Maͤdchen, das Kron-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/246>, abgerufen am 23.11.2024.
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