ihm ein höfliches Kompliment an ihn auf, und bedaurte, daß er noch nicht Zeit gehabt, selbst an ihn zu schreiben. Marianens Bruder, Joseph, war so höflich nicht; er ärgerte sich, daß seine Eltern dem Siegwart, seines Violinspielens we- gen, so höflich begegneten; Er hielt es für eine Verachtung seiner selbst, und hatte es noch nicht vergessen, daß Siegwart einmal im Koncert ihn mit seinem Spiel so verdunkelt hatte. Daher sprach er sehr wenig mit Siegwart, blickte stolz auf ihn herab, und ließ allerley spöttische und zweydeutige Reden fallen. Siegwart merkte es, that aber doch sehr freundschaftlich gegen ihn, und gab sich Mühe, ihm eine günstigere Gesinnung gegen sich einzuflössen. Der Bruder sagte Ma- rianen, es werde nicht gut stehen, wenn sie wie- der so spät nach Hause komme, wie das letztemal; Man spreche von solchen Mädchen nicht zum Besten, u. s. w. Mariane, die mit ihrem Anzug beschäftigt war, that, als ob sie seine Hofmeiste- rey nicht hörte.
Als sie fertig war, gieng sie mit Siegwart nach dem Ball. Auf dem Weg dahin beschwerte sie sich über ihren Bruder. Es ist ein fataler
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ihm ein hoͤfliches Kompliment an ihn auf, und bedaurte, daß er noch nicht Zeit gehabt, ſelbſt an ihn zu ſchreiben. Marianens Bruder, Joſeph, war ſo hoͤflich nicht; er aͤrgerte ſich, daß ſeine Eltern dem Siegwart, ſeines Violinſpielens we- gen, ſo hoͤflich begegneten; Er hielt es fuͤr eine Verachtung ſeiner ſelbſt, und hatte es noch nicht vergeſſen, daß Siegwart einmal im Koncert ihn mit ſeinem Spiel ſo verdunkelt hatte. Daher ſprach er ſehr wenig mit Siegwart, blickte ſtolz auf ihn herab, und ließ allerley ſpoͤttiſche und zweydeutige Reden fallen. Siegwart merkte es, that aber doch ſehr freundſchaftlich gegen ihn, und gab ſich Muͤhe, ihm eine guͤnſtigere Geſinnung gegen ſich einzufloͤſſen. Der Bruder ſagte Ma- rianen, es werde nicht gut ſtehen, wenn ſie wie- der ſo ſpaͤt nach Hauſe komme, wie das letztemal; Man ſpreche von ſolchen Maͤdchen nicht zum Beſten, u. ſ. w. Mariane, die mit ihrem Anzug beſchaͤftigt war, that, als ob ſie ſeine Hofmeiſte- rey nicht hoͤrte.
Als ſie fertig war, gieng ſie mit Siegwart nach dem Ball. Auf dem Weg dahin beſchwerte ſie ſich uͤber ihren Bruder. Es iſt ein fataler
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ihm ein hoͤfliches Kompliment an ihn auf, und
bedaurte, daß er noch nicht Zeit gehabt, ſelbſt an
ihn zu ſchreiben. Marianens Bruder, Joſeph,
war ſo hoͤflich nicht; er aͤrgerte ſich, daß ſeine
Eltern dem Siegwart, ſeines Violinſpielens we-
gen, ſo hoͤflich begegneten; Er hielt es fuͤr eine
Verachtung ſeiner ſelbſt, und hatte es noch nicht
vergeſſen, daß Siegwart einmal im Koncert ihn
mit ſeinem Spiel ſo verdunkelt hatte. Daher
ſprach er ſehr wenig mit Siegwart, blickte ſtolz
auf ihn herab, und ließ allerley ſpoͤttiſche und
zweydeutige Reden fallen. Siegwart merkte es,
that aber doch ſehr freundſchaftlich gegen ihn, und
gab ſich Muͤhe, ihm eine guͤnſtigere Geſinnung
gegen ſich einzufloͤſſen. Der Bruder ſagte Ma-
rianen, es werde nicht gut ſtehen, wenn ſie wie-
der ſo ſpaͤt nach Hauſe komme, wie das letztemal;
Man ſpreche von ſolchen Maͤdchen nicht zum
Beſten, u. ſ. w. Mariane, die mit ihrem Anzug
beſchaͤftigt war, that, als ob ſie ſeine Hofmeiſte-
rey nicht hoͤrte.
Als ſie fertig war, gieng ſie mit Siegwart
nach dem Ball. Auf dem Weg dahin beſchwerte
ſie ſich uͤber ihren Bruder. Es iſt ein fataler
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/245>, abgerufen am 23.11.2024.
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