Kronhelm hielt den Kummer seines Freundes für Schmerz über Gutfrieds Tod, und vereinte sich mit ihm zu klagen. Den nächsten Sonntag sah Siegwart seine Mariane in der Kirche. Sie grüß- te ihn freundlich, und sah heiter aus. Er hielt diese Heiterkeit für Freude über ihre nahe Verbin- dung, und ward darüber noch unruhiger, und trauriger. Jm nächsten Konzert merkte er wohl, daß sie ihn sehr fleissig beobachtete, aber seine Furcht ließ ihn auf nichts vortheilhaftes schliessen. Sie sang eine obligate Arie, und bat Kronhelm, ihr dabey zu akkompagniren. Dieß brachte ihn noch mehr auf, und erfüllte ihn mit dem bängsten Schmerz. Der halbverborgene Funken von Eifersucht glimmte wieder frisch in ihm auf. Seine Ver- nunft mochte ihm sagen, was sie wollte; sein Herz stritt dagegen. Er merkte kaum auf ihren himm- lischen Gesang, und fühlte nichts von der herz- schmelzenden Zärtlichkeit, mit der sie sang. Jn- dem er so, von tausend kämpfenden Leidenschaften bestürmt, in einem Winkel stand, und nicht be- merkte, daß die Arie ausgesungen war, trat Ma- riane zu ihm, und bat, er möchte ihr bey einer zweyten Arie akkompagniren. Er stund da, wie vom Grab erweckt, in der staunendsten Bewegung;
Kronhelm hielt den Kummer ſeines Freundes fuͤr Schmerz uͤber Gutfrieds Tod, und vereinte ſich mit ihm zu klagen. Den naͤchſten Sonntag ſah Siegwart ſeine Mariane in der Kirche. Sie gruͤß- te ihn freundlich, und ſah heiter aus. Er hielt dieſe Heiterkeit fuͤr Freude uͤber ihre nahe Verbin- dung, und ward daruͤber noch unruhiger, und trauriger. Jm naͤchſten Konzert merkte er wohl, daß ſie ihn ſehr fleiſſig beobachtete, aber ſeine Furcht ließ ihn auf nichts vortheilhaftes ſchlieſſen. Sie ſang eine obligate Arie, und bat Kronhelm, ihr dabey zu akkompagniren. Dieß brachte ihn noch mehr auf, und erfuͤllte ihn mit dem baͤngſten Schmerz. Der halbverborgene Funken von Eiferſucht glimmte wieder friſch in ihm auf. Seine Ver- nunft mochte ihm ſagen, was ſie wollte; ſein Herz ſtritt dagegen. Er merkte kaum auf ihren himm- liſchen Geſang, und fuͤhlte nichts von der herz- ſchmelzenden Zaͤrtlichkeit, mit der ſie ſang. Jn- dem er ſo, von tauſend kaͤmpfenden Leidenſchaften beſtuͤrmt, in einem Winkel ſtand, und nicht be- merkte, daß die Arie ausgeſungen war, trat Ma- riane zu ihm, und bat, er moͤchte ihr bey einer zweyten Arie akkompagniren. Er ſtund da, wie vom Grab erweckt, in der ſtaunendſten Bewegung;
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Kronhelm hielt den Kummer ſeines Freundes fuͤr
Schmerz uͤber Gutfrieds Tod, und vereinte ſich
mit ihm zu klagen. Den naͤchſten Sonntag ſah
Siegwart ſeine Mariane in der Kirche. Sie gruͤß-
te ihn freundlich, und ſah heiter aus. Er hielt
dieſe Heiterkeit fuͤr Freude uͤber ihre nahe Verbin-
dung, und ward daruͤber noch unruhiger, und
trauriger. Jm naͤchſten Konzert merkte er wohl,
daß ſie ihn ſehr fleiſſig beobachtete, aber ſeine
Furcht ließ ihn auf nichts vortheilhaftes ſchlieſſen.
Sie ſang eine obligate Arie, und bat Kronhelm,
ihr dabey zu akkompagniren. Dieß brachte ihn
noch mehr auf, und erfuͤllte ihn mit dem baͤngſten
Schmerz. Der halbverborgene Funken von Eiferſucht
glimmte wieder friſch in ihm auf. Seine Ver-
nunft mochte ihm ſagen, was ſie wollte; ſein Herz
ſtritt dagegen. Er merkte kaum auf ihren himm-
liſchen Geſang, und fuͤhlte nichts von der herz-
ſchmelzenden Zaͤrtlichkeit, mit der ſie ſang. Jn-
dem er ſo, von tauſend kaͤmpfenden Leidenſchaften
beſtuͤrmt, in einem Winkel ſtand, und nicht be-
merkte, daß die Arie ausgeſungen war, trat Ma-
riane zu ihm, und bat, er moͤchte ihr bey einer
zweyten Arie akkompagniren. Er ſtund da, wie
vom Grab erweckt, in der ſtaunendſten Bewegung;
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/230>, abgerufen am 22.11.2024.
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