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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Von unangenehmen Dingen spricht man
nicht gern; sonst könnt ich Jhnen viel sagen, von
den Spöttereyen und Sticheleyen, die ich von mei-
ner Schwägerin anhören muß; doch so etwas ist
zu gering, sich darüber zu ärgern. Jch kann Jh-
nen nicht mehr schreiben, weil ich recht viel wegen
der Habererndte zu thun habe; aber wenn das vor-
bey ist, so werd ichs gewiß nachholen. Jch habe
Jhnen noch so viel zu sagen, so viel! Aber ein
Brief ist immer nur eine halbe Unterredung.

Leben Sie so glücklich, mein Theurester, als es
mein stündlicher Wunsch ist! Meine Seele ist
oft bey Jhnen.
Th. Siegwart.

Als Kronhelm diesen Brief gelesen hatte, gieng er
ans Fenster, und die hellen Zähren stürzten ihm aus
den Augen. Sein Herz machte ihm tausend Vorwür-
fe. Gott! Was ist das für ein himmlisches Mädchen!
dachte er; und was bin ich für ein Kerl! Lauter Zärt-
lichkeit und Liebe! Und ich that dem Engel Unrecht!
That ihm teuflisches Unrecht! -- O vergib,
vergib, Engel, wenn ichs werth bin! -- Jch
habe vorhin recht gerast, sagte er zu Siegwart.
Das ist was Entsetzliches um die Liebe, wie sie



Von unangenehmen Dingen ſpricht man
nicht gern; ſonſt koͤnnt ich Jhnen viel ſagen, von
den Spoͤttereyen und Sticheleyen, die ich von mei-
ner Schwaͤgerin anhoͤren muß; doch ſo etwas iſt
zu gering, ſich daruͤber zu aͤrgern. Jch kann Jh-
nen nicht mehr ſchreiben, weil ich recht viel wegen
der Habererndte zu thun habe; aber wenn das vor-
bey iſt, ſo werd ichs gewiß nachholen. Jch habe
Jhnen noch ſo viel zu ſagen, ſo viel! Aber ein
Brief iſt immer nur eine halbe Unterredung.

Leben Sie ſo gluͤcklich, mein Theureſter, als es
mein ſtuͤndlicher Wunſch iſt! Meine Seele iſt
oft bey Jhnen.
Th. Siegwart.

Als Kronhelm dieſen Brief geleſen hatte, gieng er
ans Fenſter, und die hellen Zaͤhren ſtuͤrzten ihm aus
den Augen. Sein Herz machte ihm tauſend Vorwuͤr-
fe. Gott! Was iſt das fuͤr ein himmliſches Maͤdchen!
dachte er; und was bin ich fuͤr ein Kerl! Lauter Zaͤrt-
lichkeit und Liebe! Und ich that dem Engel Unrecht!
That ihm teufliſches Unrecht! — O vergib,
vergib, Engel, wenn ichs werth bin! — Jch
habe vorhin recht geraſt, ſagte er zu Siegwart.
Das iſt was Entſetzliches um die Liebe, wie ſie

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[443/0023] Von unangenehmen Dingen ſpricht man nicht gern; ſonſt koͤnnt ich Jhnen viel ſagen, von den Spoͤttereyen und Sticheleyen, die ich von mei- ner Schwaͤgerin anhoͤren muß; doch ſo etwas iſt zu gering, ſich daruͤber zu aͤrgern. Jch kann Jh- nen nicht mehr ſchreiben, weil ich recht viel wegen der Habererndte zu thun habe; aber wenn das vor- bey iſt, ſo werd ichs gewiß nachholen. Jch habe Jhnen noch ſo viel zu ſagen, ſo viel! Aber ein Brief iſt immer nur eine halbe Unterredung. Leben Sie ſo gluͤcklich, mein Theureſter, als es mein ſtuͤndlicher Wunſch iſt! Meine Seele iſt oft bey Jhnen. Th. Siegwart. Als Kronhelm dieſen Brief geleſen hatte, gieng er ans Fenſter, und die hellen Zaͤhren ſtuͤrzten ihm aus den Augen. Sein Herz machte ihm tauſend Vorwuͤr- fe. Gott! Was iſt das fuͤr ein himmliſches Maͤdchen! dachte er; und was bin ich fuͤr ein Kerl! Lauter Zaͤrt- lichkeit und Liebe! Und ich that dem Engel Unrecht! That ihm teufliſches Unrecht! — O vergib, vergib, Engel, wenn ichs werth bin! — Jch habe vorhin recht geraſt, ſagte er zu Siegwart. Das iſt was Entſetzliches um die Liebe, wie ſie

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/23>, abgerufen am 24.11.2024.