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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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gedacht, und bin wahrhastig überzeugt, daß nichts
auf der Welt ganz glücklich macht, als Kenntniß
und Ausübung unsrer heiligen Religion, und Recht-
schaffenheit, und Reinigkeit des Herzens. Jch hab
alles versucht, bin alles gewesen, Religionsveräch-
ter, Spötter, Zweifler, Taugenichts, und Christ, und
nichts hat mich beruhigt, als das letzte. -- Noch
einmal, ich beschwöre Sie, Freund! bleiben Sie auf
dem guten Wege, auf dem Jhnen so wohl ist!
Bleiben Sie ein rechtschaffener Mann, ein Christ!
Denken Sie an meine Worte! Jch bin jetzt glücklich,
und wärs noch mehr, wär ich immer gut geblie-
ben. --

Hier konnte der gerührte und entkräftete Jüng-
ling nicht mehr reden. Ein heisser Strom von
Thränen stürzte ihm aus den Augen, er schluchzte,
und verhüllte sein Gesicht ins Kissen. -- Siegwart
konnte sich nicht länger halten; das Herz brannte
ihm im Leibe. Thränen schossen über seine Wan-
gen; er lief weg ans Fenster, und schluchzte laut. --
Gott, erhalt mich fromm und rein! Mehr konnte
er nicht seufzen; aber ihm wars, als ob er Gott
von Angesicht zu Angesicht erblickte, und gewiß
wäre, daß er bleiben würd' in seiner Reinigkeit und
Unschuld.



gedacht, und bin wahrhaſtig uͤberzeugt, daß nichts
auf der Welt ganz gluͤcklich macht, als Kenntniß
und Ausuͤbung unſrer heiligen Religion, und Recht-
ſchaffenheit, und Reinigkeit des Herzens. Jch hab
alles verſucht, bin alles geweſen, Religionsveraͤch-
ter, Spoͤtter, Zweifler, Taugenichts, und Chriſt, und
nichts hat mich beruhigt, als das letzte. — Noch
einmal, ich beſchwoͤre Sie, Freund! bleiben Sie auf
dem guten Wege, auf dem Jhnen ſo wohl iſt!
Bleiben Sie ein rechtſchaffener Mann, ein Chriſt!
Denken Sie an meine Worte! Jch bin jetzt gluͤcklich,
und waͤrs noch mehr, waͤr ich immer gut geblie-
ben. —

Hier konnte der geruͤhrte und entkraͤftete Juͤng-
ling nicht mehr reden. Ein heiſſer Strom von
Thraͤnen ſtuͤrzte ihm aus den Augen, er ſchluchzte,
und verhuͤllte ſein Geſicht ins Kiſſen. — Siegwart
konnte ſich nicht laͤnger halten; das Herz brannte
ihm im Leibe. Thraͤnen ſchoſſen uͤber ſeine Wan-
gen; er lief weg ans Fenſter, und ſchluchzte laut. —
Gott, erhalt mich fromm und rein! Mehr konnte
er nicht ſeufzen; aber ihm wars, als ob er Gott
von Angeſicht zu Angeſicht erblickte, und gewiß
waͤre, daß er bleiben wuͤrd’ in ſeiner Reinigkeit und
Unſchuld.

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[637/0217] gedacht, und bin wahrhaſtig uͤberzeugt, daß nichts auf der Welt ganz gluͤcklich macht, als Kenntniß und Ausuͤbung unſrer heiligen Religion, und Recht- ſchaffenheit, und Reinigkeit des Herzens. Jch hab alles verſucht, bin alles geweſen, Religionsveraͤch- ter, Spoͤtter, Zweifler, Taugenichts, und Chriſt, und nichts hat mich beruhigt, als das letzte. — Noch einmal, ich beſchwoͤre Sie, Freund! bleiben Sie auf dem guten Wege, auf dem Jhnen ſo wohl iſt! Bleiben Sie ein rechtſchaffener Mann, ein Chriſt! Denken Sie an meine Worte! Jch bin jetzt gluͤcklich, und waͤrs noch mehr, waͤr ich immer gut geblie- ben. — Hier konnte der geruͤhrte und entkraͤftete Juͤng- ling nicht mehr reden. Ein heiſſer Strom von Thraͤnen ſtuͤrzte ihm aus den Augen, er ſchluchzte, und verhuͤllte ſein Geſicht ins Kiſſen. — Siegwart konnte ſich nicht laͤnger halten; das Herz brannte ihm im Leibe. Thraͤnen ſchoſſen uͤber ſeine Wan- gen; er lief weg ans Fenſter, und ſchluchzte laut. — Gott, erhalt mich fromm und rein! Mehr konnte er nicht ſeufzen; aber ihm wars, als ob er Gott von Angeſicht zu Angeſicht erblickte, und gewiß waͤre, daß er bleiben wuͤrd’ in ſeiner Reinigkeit und Unſchuld.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/217>, abgerufen am 24.11.2024.