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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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keimte auch der Wunsch auf, Marianens Herz zu
gewinnen. Jch konnte mich ihr nun eher ohne
Zittern nahen, denn ich fühlt es, daß ich besser war.
Jm Konzert hatt ich Gelegenheit, mit ihr bekannt
zu werden. Sie begegnete mir immer freundlich
und gefällig; aber niemals hab ich einen Funken
von Liebe an ihr wahrgenommen. Jch fürchte, sie
weis meinen vorigen Lebenswandel, und kann des-
wegen kein rechtes Zutrauen zu mir haben. O
Freund, dieß ist die gröste Strafe meiner schändli-
chen Verblendung! Diese, und daß ich einen aus-
gemergelten Körper davon getragen habe, der mich
wohl in wenig Wochen oder Tagen ins Grab stür-
zen wird. Daß mir Gott vergeben habe, hoff ich
um der Leiden seines Sohnes willen, sonst müst ich
gar verzweifeln. -- Jch beschwöre Sie um Gottes
willen, theurer Freund! Sie sind noch jung, und
mancherley Verführungen ausgesetzt. O behalten
Sie ihr Herz rein! Sie wissen nicht, was das für
ein Kleinod ist, denn ich hoffe, daß Sies nie verloh-
ren haben. Glauben Sie mir, daß beym Laster
nichts als Unruh ist, und Höllenreue hintennach.
Jch schwör Jhnen, daß ich nicht nur jetzt so rede,
weil ich krank bin, und den Tod näher vor Augen
seh, als Sie. Jch hab in gesunden Tagen eben so



keimte auch der Wunſch auf, Marianens Herz zu
gewinnen. Jch konnte mich ihr nun eher ohne
Zittern nahen, denn ich fuͤhlt es, daß ich beſſer war.
Jm Konzert hatt ich Gelegenheit, mit ihr bekannt
zu werden. Sie begegnete mir immer freundlich
und gefaͤllig; aber niemals hab ich einen Funken
von Liebe an ihr wahrgenommen. Jch fuͤrchte, ſie
weis meinen vorigen Lebenswandel, und kann des-
wegen kein rechtes Zutrauen zu mir haben. O
Freund, dieß iſt die groͤſte Strafe meiner ſchaͤndli-
chen Verblendung! Dieſe, und daß ich einen aus-
gemergelten Koͤrper davon getragen habe, der mich
wohl in wenig Wochen oder Tagen ins Grab ſtuͤr-
zen wird. Daß mir Gott vergeben habe, hoff ich
um der Leiden ſeines Sohnes willen, ſonſt muͤſt ich
gar verzweifeln. — Jch beſchwoͤre Sie um Gottes
willen, theurer Freund! Sie ſind noch jung, und
mancherley Verfuͤhrungen ausgeſetzt. O behalten
Sie ihr Herz rein! Sie wiſſen nicht, was das fuͤr
ein Kleinod iſt, denn ich hoffe, daß Sies nie verloh-
ren haben. Glauben Sie mir, daß beym Laſter
nichts als Unruh iſt, und Hoͤllenreue hintennach.
Jch ſchwoͤr Jhnen, daß ich nicht nur jetzt ſo rede,
weil ich krank bin, und den Tod naͤher vor Augen
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[636/0216] keimte auch der Wunſch auf, Marianens Herz zu gewinnen. Jch konnte mich ihr nun eher ohne Zittern nahen, denn ich fuͤhlt es, daß ich beſſer war. Jm Konzert hatt ich Gelegenheit, mit ihr bekannt zu werden. Sie begegnete mir immer freundlich und gefaͤllig; aber niemals hab ich einen Funken von Liebe an ihr wahrgenommen. Jch fuͤrchte, ſie weis meinen vorigen Lebenswandel, und kann des- wegen kein rechtes Zutrauen zu mir haben. O Freund, dieß iſt die groͤſte Strafe meiner ſchaͤndli- chen Verblendung! Dieſe, und daß ich einen aus- gemergelten Koͤrper davon getragen habe, der mich wohl in wenig Wochen oder Tagen ins Grab ſtuͤr- zen wird. Daß mir Gott vergeben habe, hoff ich um der Leiden ſeines Sohnes willen, ſonſt muͤſt ich gar verzweifeln. — Jch beſchwoͤre Sie um Gottes willen, theurer Freund! Sie ſind noch jung, und mancherley Verfuͤhrungen ausgeſetzt. O behalten Sie ihr Herz rein! Sie wiſſen nicht, was das fuͤr ein Kleinod iſt, denn ich hoffe, daß Sies nie verloh- ren haben. Glauben Sie mir, daß beym Laſter nichts als Unruh iſt, und Hoͤllenreue hintennach. Jch ſchwoͤr Jhnen, daß ich nicht nur jetzt ſo rede, weil ich krank bin, und den Tod naͤher vor Augen ſeh, als Sie. Jch hab in geſunden Tagen eben ſo

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/216>, abgerufen am 22.11.2024.