Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



merkt zu werden glaubte. Mariane sang dießmal
nicht; ein paar andre Frauenzimmer aus der Stadt
sangen ziemlich artig. Als das Konzert zu Ende
war, so wurden einige Solos und Konzerte auf
die künftige Woche ausgetheilt; Kronhelm über-
nahm eins, und auch Dahlmund; aber unsern
Siegwart traf noch keins. Eh man auseinander
gieng, sprach Kronhelm mit Marianen ziemlich
bekannt. Dieß that unserm Siegwart weh, ob er
ihm gleich so herzlich gut war.

Sonst aber wars ihm, als ob er neu gebohren wäre.
Nun sah er einen frohen, wonnevollen Winter vor
sich. Sie alle Wochen Einmal, und des Sonntags in
der Kirche zu sehen, war für ihn ein Glück, das er jetzt
nicht grösser wünschte. Jhre Blicke schienen ihm
auch viel Gutes zu prophezeihen, und das freundli-
che Betragen des Vaters füllte ihn mit tausend
Hofnungen. Als sie zu Hause waren, sagte Kron-
helm: Nun, wie gefällt dir die Fischerin? Jst
sie nicht ein herrliches Geschöpf, und zum Anbeten
schön? -- Von Aussehen gefällt sie mir recht wohl,
antwortete Siegwart ganz kalt. -- Das glaub ich,
sagte Kronhelm; aber ihr Herz solltest du erst ken-
nen! Wart, ich will schon machen, daß du noch
genauer mit ihr bekannt wirst. Da sollst du deine



merkt zu werden glaubte. Mariane ſang dießmal
nicht; ein paar andre Frauenzimmer aus der Stadt
ſangen ziemlich artig. Als das Konzert zu Ende
war, ſo wurden einige Solos und Konzerte auf
die kuͤnftige Woche ausgetheilt; Kronhelm uͤber-
nahm eins, und auch Dahlmund; aber unſern
Siegwart traf noch keins. Eh man auseinander
gieng, ſprach Kronhelm mit Marianen ziemlich
bekannt. Dieß that unſerm Siegwart weh, ob er
ihm gleich ſo herzlich gut war.

Sonſt aber wars ihm, als ob er neu gebohren waͤre.
Nun ſah er einen frohen, wonnevollen Winter vor
ſich. Sie alle Wochen Einmal, und des Sonntags in
der Kirche zu ſehen, war fuͤr ihn ein Gluͤck, das er jetzt
nicht groͤſſer wuͤnſchte. Jhre Blicke ſchienen ihm
auch viel Gutes zu prophezeihen, und das freundli-
che Betragen des Vaters fuͤllte ihn mit tauſend
Hofnungen. Als ſie zu Hauſe waren, ſagte Kron-
helm: Nun, wie gefaͤllt dir die Fiſcherin? Jſt
ſie nicht ein herrliches Geſchoͤpf, und zum Anbeten
ſchoͤn? — Von Auſſehen gefaͤllt ſie mir recht wohl,
antwortete Siegwart ganz kalt. — Das glaub ich,
ſagte Kronhelm; aber ihr Herz ſollteſt du erſt ken-
nen! Wart, ich will ſchon machen, daß du noch
genauer mit ihr bekannt wirſt. Da ſollſt du deine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0191" n="611"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
merkt zu werden glaubte. Mariane &#x017F;ang dießmal<lb/>
nicht; ein paar andre Frauenzimmer aus der Stadt<lb/>
&#x017F;angen ziemlich artig. Als das Konzert zu Ende<lb/>
war, &#x017F;o wurden einige Solos und Konzerte auf<lb/>
die ku&#x0364;nftige Woche ausgetheilt; Kronhelm u&#x0364;ber-<lb/>
nahm eins, und auch Dahlmund; aber un&#x017F;ern<lb/>
Siegwart traf noch keins. Eh man auseinander<lb/>
gieng, &#x017F;prach Kronhelm mit Marianen ziemlich<lb/>
bekannt. Dieß that un&#x017F;erm Siegwart weh, ob er<lb/>
ihm gleich &#x017F;o herzlich gut war.</p><lb/>
        <p>Son&#x017F;t aber wars ihm, als ob er neu gebohren wa&#x0364;re.<lb/>
Nun &#x017F;ah er einen frohen, wonnevollen Winter vor<lb/>
&#x017F;ich. Sie alle Wochen Einmal, und des Sonntags in<lb/>
der Kirche zu &#x017F;ehen, war fu&#x0364;r ihn ein Glu&#x0364;ck, das er jetzt<lb/>
nicht gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er wu&#x0364;n&#x017F;chte. Jhre Blicke &#x017F;chienen ihm<lb/>
auch viel Gutes zu prophezeihen, und das freundli-<lb/>
che Betragen des Vaters fu&#x0364;llte ihn mit tau&#x017F;end<lb/>
Hofnungen. Als &#x017F;ie zu Hau&#x017F;e waren, &#x017F;agte Kron-<lb/>
helm: Nun, wie gefa&#x0364;llt dir die Fi&#x017F;cherin? J&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie nicht ein herrliches Ge&#x017F;cho&#x0364;pf, und zum Anbeten<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n? &#x2014; Von Au&#x017F;&#x017F;ehen gefa&#x0364;llt &#x017F;ie mir recht wohl,<lb/>
antwortete Siegwart ganz kalt. &#x2014; Das glaub ich,<lb/>
&#x017F;agte Kronhelm; aber ihr Herz &#x017F;ollte&#x017F;t du er&#x017F;t ken-<lb/>
nen! Wart, ich will &#x017F;chon machen, daß du noch<lb/>
genauer mit ihr bekannt wir&#x017F;t. Da &#x017F;oll&#x017F;t du deine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[611/0191] merkt zu werden glaubte. Mariane ſang dießmal nicht; ein paar andre Frauenzimmer aus der Stadt ſangen ziemlich artig. Als das Konzert zu Ende war, ſo wurden einige Solos und Konzerte auf die kuͤnftige Woche ausgetheilt; Kronhelm uͤber- nahm eins, und auch Dahlmund; aber unſern Siegwart traf noch keins. Eh man auseinander gieng, ſprach Kronhelm mit Marianen ziemlich bekannt. Dieß that unſerm Siegwart weh, ob er ihm gleich ſo herzlich gut war. Sonſt aber wars ihm, als ob er neu gebohren waͤre. Nun ſah er einen frohen, wonnevollen Winter vor ſich. Sie alle Wochen Einmal, und des Sonntags in der Kirche zu ſehen, war fuͤr ihn ein Gluͤck, das er jetzt nicht groͤſſer wuͤnſchte. Jhre Blicke ſchienen ihm auch viel Gutes zu prophezeihen, und das freundli- che Betragen des Vaters fuͤllte ihn mit tauſend Hofnungen. Als ſie zu Hauſe waren, ſagte Kron- helm: Nun, wie gefaͤllt dir die Fiſcherin? Jſt ſie nicht ein herrliches Geſchoͤpf, und zum Anbeten ſchoͤn? — Von Auſſehen gefaͤllt ſie mir recht wohl, antwortete Siegwart ganz kalt. — Das glaub ich, ſagte Kronhelm; aber ihr Herz ſollteſt du erſt ken- nen! Wart, ich will ſchon machen, daß du noch genauer mit ihr bekannt wirſt. Da ſollſt du deine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/191
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/191>, abgerufen am 24.11.2024.