Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.Violine, und konnte sie, in der Angst, kaum zu Stande bringen. Endlich gieng das Konzert an. Mariane saß unserm Siegwart gegenüber. Er machte in seinem Spiel tausend Fehler, und ward noch verwirrter, weil er fürchtete, die Zuhörer möchten es merken. Endlich erholte er sich etwas von seiner Verwirrung, und spielte ordentlicher. -- Bey einem Flötenkonzerte, das Gutfried machte, ruhte er, und lehnte sich an die Wand, Maria- nen gegenüber. Er glaubte, bey der schmelzenden Musik, und dem Anblick seines Mädchens, das er noch nie so nah bey sich gesehen hatte, zu ver- gehen. Sie saß, in aller ihrer Anmuth, aufs niedlichste und kunstloseste gekleidet, da; ihre Seele war ganz auf die zärtliche Musik gerichtet; sie schien jeden wahren Ton im Jnnersten zu füh- len, und drückte oft ihren Beyfall durch eine kleine Bewegung aus. Oft hub sie ihr schönes Aug in die Höhe, und richtete es dann auf Siegwart, der, in überirdische Entzückungen versunken, da stand, und vor lauter Empfindung nichts von dem fühl- te, was um ihn herum vorgieng. Zuweilen drang sich ihm ein tiefer Seufzer aus der Brust, den er ängstlich zu verbergen suchte. Selten wagte ers, sie lange anzusehen, weil er von tausend Augen be- Violine, und konnte ſie, in der Angſt, kaum zu Stande bringen. Endlich gieng das Konzert an. Mariane ſaß unſerm Siegwart gegenuͤber. Er machte in ſeinem Spiel tauſend Fehler, und ward noch verwirrter, weil er fuͤrchtete, die Zuhoͤrer moͤchten es merken. Endlich erholte er ſich etwas von ſeiner Verwirrung, und ſpielte ordentlicher. — Bey einem Floͤtenkonzerte, das Gutfried machte, ruhte er, und lehnte ſich an die Wand, Maria- nen gegenuͤber. Er glaubte, bey der ſchmelzenden Muſik, und dem Anblick ſeines Maͤdchens, das er noch nie ſo nah bey ſich geſehen hatte, zu ver- gehen. Sie ſaß, in aller ihrer Anmuth, aufs niedlichſte und kunſtloſeſte gekleidet, da; ihre Seele war ganz auf die zaͤrtliche Muſik gerichtet; ſie ſchien jeden wahren Ton im Jnnerſten zu fuͤh- len, und druͤckte oft ihren Beyfall durch eine kleine Bewegung aus. Oft hub ſie ihr ſchoͤnes Aug in die Hoͤhe, und richtete es dann auf Siegwart, der, in uͤberirdiſche Entzuͤckungen verſunken, da ſtand, und vor lauter Empfindung nichts von dem fuͤhl- te, was um ihn herum vorgieng. Zuweilen drang ſich ihm ein tiefer Seufzer aus der Bruſt, den er aͤngſtlich zu verbergen ſuchte. Selten wagte ers, ſie lange anzuſehen, weil er von tauſend Augen be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0190" n="610"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Violine, und konnte ſie, in der Angſt, kaum zu<lb/> Stande bringen. Endlich gieng das Konzert an.<lb/> Mariane ſaß unſerm Siegwart gegenuͤber. Er<lb/> machte in ſeinem Spiel tauſend Fehler, und ward<lb/> noch verwirrter, weil er fuͤrchtete, die Zuhoͤrer<lb/> moͤchten es merken. Endlich erholte er ſich etwas<lb/> von ſeiner Verwirrung, und ſpielte ordentlicher. —<lb/> Bey einem Floͤtenkonzerte, das Gutfried machte,<lb/> ruhte er, und lehnte ſich an die Wand, Maria-<lb/> nen gegenuͤber. Er glaubte, bey der ſchmelzenden<lb/> Muſik, und dem Anblick ſeines Maͤdchens, das<lb/> er noch nie ſo nah bey ſich geſehen hatte, zu ver-<lb/> gehen. Sie ſaß, in aller ihrer Anmuth, aufs<lb/> niedlichſte und kunſtloſeſte gekleidet, da; ihre<lb/> Seele war ganz auf die zaͤrtliche Muſik gerichtet;<lb/> ſie ſchien jeden wahren Ton im Jnnerſten zu fuͤh-<lb/> len, und druͤckte oft ihren Beyfall durch eine kleine<lb/> Bewegung aus. Oft hub ſie ihr ſchoͤnes Aug in<lb/> die Hoͤhe, und richtete es dann auf Siegwart, der,<lb/> in uͤberirdiſche Entzuͤckungen verſunken, da ſtand,<lb/> und vor lauter Empfindung nichts von dem fuͤhl-<lb/> te, was um ihn herum vorgieng. Zuweilen drang<lb/> ſich ihm ein tiefer Seufzer aus der Bruſt, den er<lb/> aͤngſtlich zu verbergen ſuchte. Selten wagte ers, ſie<lb/> lange anzuſehen, weil er von tauſend Augen be-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [610/0190]
Violine, und konnte ſie, in der Angſt, kaum zu
Stande bringen. Endlich gieng das Konzert an.
Mariane ſaß unſerm Siegwart gegenuͤber. Er
machte in ſeinem Spiel tauſend Fehler, und ward
noch verwirrter, weil er fuͤrchtete, die Zuhoͤrer
moͤchten es merken. Endlich erholte er ſich etwas
von ſeiner Verwirrung, und ſpielte ordentlicher. —
Bey einem Floͤtenkonzerte, das Gutfried machte,
ruhte er, und lehnte ſich an die Wand, Maria-
nen gegenuͤber. Er glaubte, bey der ſchmelzenden
Muſik, und dem Anblick ſeines Maͤdchens, das
er noch nie ſo nah bey ſich geſehen hatte, zu ver-
gehen. Sie ſaß, in aller ihrer Anmuth, aufs
niedlichſte und kunſtloſeſte gekleidet, da; ihre
Seele war ganz auf die zaͤrtliche Muſik gerichtet;
ſie ſchien jeden wahren Ton im Jnnerſten zu fuͤh-
len, und druͤckte oft ihren Beyfall durch eine kleine
Bewegung aus. Oft hub ſie ihr ſchoͤnes Aug in
die Hoͤhe, und richtete es dann auf Siegwart, der,
in uͤberirdiſche Entzuͤckungen verſunken, da ſtand,
und vor lauter Empfindung nichts von dem fuͤhl-
te, was um ihn herum vorgieng. Zuweilen drang
ſich ihm ein tiefer Seufzer aus der Bruſt, den er
aͤngſtlich zu verbergen ſuchte. Selten wagte ers, ſie
lange anzuſehen, weil er von tauſend Augen be-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |