Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.und auf ewig von ihr Abschied nehmen. Nur noch Einmal will ich in die Kirche! -- Jn andern Stunden dacht' er wieder: Sehen kann ich sie doch wohl; das ist keine Sünde; nur nie sprechen muß ich sie, und den Gedanken aus der Seele bannen, mich um ihre Liebe zu bewerben, oder auch nur sie zu wünschen. -- Nun ward er ruhig, und glaubte, einen herrlichen Ausweg gefunden zu haben; aber, wie wenig kannte er sich selbst! Kaum sah er Marianen am Sonntag wieder, so waren alle seine Entschlüsse umgestossen, und er dachte nichts, als sie. -- Jch kann, ich kann nicht anders! dach- te er; Gott vergeb mirs! Jch bin nicht mein eig- ner Herr mehr! -- Die Antwort an P. Philipp machte ihm bey seiner zarten Gewissenhaftigkeit wieder neuen Kummer. Er wollte ihm nicht schrei- ben, daß er noch eben so eifrig und enthusiastisch ans Klostergehen denke, wie vor Zeiten; und noch weniger konnte er ihm seine Abneigung davon, und die Ursache dieser Abneigung melden. Er schrieb also etwas zweydeutig: Die Theologie gefall ihm wohl, aber er höre jetzt noch mehr philosophische Kollegia, als theologische; und das war auch im Grunde wahr. Jetzt vergaß er wieder alles, und ward, von dieser Seite, ruhig. und auf ewig von ihr Abſchied nehmen. Nur noch Einmal will ich in die Kirche! — Jn andern Stunden dacht’ er wieder: Sehen kann ich ſie doch wohl; das iſt keine Suͤnde; nur nie ſprechen muß ich ſie, und den Gedanken aus der Seele bannen, mich um ihre Liebe zu bewerben, oder auch nur ſie zu wuͤnſchen. — Nun ward er ruhig, und glaubte, einen herrlichen Ausweg gefunden zu haben; aber, wie wenig kannte er ſich ſelbſt! Kaum ſah er Marianen am Sonntag wieder, ſo waren alle ſeine Entſchluͤſſe umgeſtoſſen, und er dachte nichts, als ſie. — Jch kann, ich kann nicht anders! dach- te er; Gott vergeb mirs! Jch bin nicht mein eig- ner Herr mehr! — Die Antwort an P. Philipp machte ihm bey ſeiner zarten Gewiſſenhaftigkeit wieder neuen Kummer. Er wollte ihm nicht ſchrei- ben, daß er noch eben ſo eifrig und enthuſiaſtiſch ans Kloſtergehen denke, wie vor Zeiten; und noch weniger konnte er ihm ſeine Abneigung davon, und die Urſache dieſer Abneigung melden. Er ſchrieb alſo etwas zweydeutig: Die Theologie gefall ihm wohl, aber er hoͤre jetzt noch mehr philoſophiſche Kollegia, als theologiſche; und das war auch im Grunde wahr. Jetzt vergaß er wieder alles, und ward, von dieſer Seite, ruhig. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0187" n="607"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> und auf ewig von ihr Abſchied nehmen. Nur noch<lb/> Einmal will ich in die Kirche! — Jn andern<lb/> Stunden dacht’ er wieder: Sehen kann ich ſie<lb/> doch wohl; das iſt keine Suͤnde; nur nie ſprechen<lb/> muß ich ſie, und den Gedanken aus der Seele<lb/> bannen, mich um ihre Liebe zu bewerben, oder auch<lb/> nur ſie zu wuͤnſchen. — Nun ward er ruhig,<lb/> und glaubte, einen herrlichen Ausweg gefunden zu<lb/> haben; aber, wie wenig kannte er ſich ſelbſt! Kaum<lb/> ſah er Marianen am Sonntag wieder, ſo waren<lb/> alle ſeine Entſchluͤſſe umgeſtoſſen, und er dachte nichts,<lb/> als ſie. — Jch kann, ich kann nicht anders! dach-<lb/> te er; Gott vergeb mirs! Jch bin nicht mein eig-<lb/> ner Herr mehr! — Die Antwort an P. Philipp<lb/> machte ihm bey ſeiner zarten Gewiſſenhaftigkeit<lb/> wieder neuen Kummer. Er wollte ihm nicht ſchrei-<lb/> ben, daß er noch eben ſo eifrig und enthuſiaſtiſch<lb/> ans Kloſtergehen denke, wie vor Zeiten; und noch<lb/> weniger konnte er ihm ſeine Abneigung davon, und<lb/> die Urſache dieſer Abneigung melden. Er ſchrieb<lb/> alſo etwas zweydeutig: Die Theologie gefall ihm<lb/> wohl, aber er hoͤre jetzt noch mehr philoſophiſche<lb/> Kollegia, als theologiſche; und das war auch im<lb/> Grunde wahr. Jetzt vergaß er wieder alles, und<lb/> ward, von dieſer Seite, ruhig.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [607/0187]
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Einmal will ich in die Kirche! — Jn andern
Stunden dacht’ er wieder: Sehen kann ich ſie
doch wohl; das iſt keine Suͤnde; nur nie ſprechen
muß ich ſie, und den Gedanken aus der Seele
bannen, mich um ihre Liebe zu bewerben, oder auch
nur ſie zu wuͤnſchen. — Nun ward er ruhig,
und glaubte, einen herrlichen Ausweg gefunden zu
haben; aber, wie wenig kannte er ſich ſelbſt! Kaum
ſah er Marianen am Sonntag wieder, ſo waren
alle ſeine Entſchluͤſſe umgeſtoſſen, und er dachte nichts,
als ſie. — Jch kann, ich kann nicht anders! dach-
te er; Gott vergeb mirs! Jch bin nicht mein eig-
ner Herr mehr! — Die Antwort an P. Philipp
machte ihm bey ſeiner zarten Gewiſſenhaftigkeit
wieder neuen Kummer. Er wollte ihm nicht ſchrei-
ben, daß er noch eben ſo eifrig und enthuſiaſtiſch
ans Kloſtergehen denke, wie vor Zeiten; und noch
weniger konnte er ihm ſeine Abneigung davon, und
die Urſache dieſer Abneigung melden. Er ſchrieb
alſo etwas zweydeutig: Die Theologie gefall ihm
wohl, aber er hoͤre jetzt noch mehr philoſophiſche
Kollegia, als theologiſche; und das war auch im
Grunde wahr. Jetzt vergaß er wieder alles, und
ward, von dieſer Seite, ruhig.
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