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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Alle drey Jünglinge wurden über diesen Ausruf
noch trauriger. Gutfried erzählte nun ein paar
schreckliche Geschichten von Personen, die sich aus
unglücklicher Leidenschaft selbst entleibt hatten. Sie
bedaurten ihr Schicksal, und wünschten ihnen, durch
ihre Seufzer, ein glücklicheres Schicksal, als sie in
diesem Leben gehabt hatten. Gutfried schlug ihnen
zur Zerstreuung von dem anhaltenden Studieren
einen Spatzierritt auf ein, zwo Stunden von Jn-
golstadt, gelegnes Dorf, vor. Sie nahmen den
Vorschlag an, und ritten hin. Siegwart dachte
auf dem ganzen Wege an sein liebes Mädchen. Es
schmerzte ihn im Jnnersten, die Stadt, in der sie
lebte, nur auf einige Stunden zu verlassen. Er
glaubte, weis nicht wieviel, zu versäumen, ob er
gleich nicht die geringste Hofnung hatte, sie zu spre-
chen, oder nur zu sehen. -- Was mag sie jetzt
machen? dachte er beständig. Jetzt wird der En-
gel wohl beten; jetzt wird er vor Gott knien u. s. w.
Möcht ich sie nur einen Augenblick erblicken!
Möchte sie nur einen Augenblick an mich denken!
Aber, ach, wie kann sie das? Wer weis, ob sie
mich bemerkt hat? Vielleicht ist ein andrer bey ihr!
Solche und ähnliche Vorstellungen stürzten ihn in
die tiefste Traurigkeit, aus der ihn fast nichts her-



Alle drey Juͤnglinge wurden uͤber dieſen Ausruf
noch trauriger. Gutfried erzaͤhlte nun ein paar
ſchreckliche Geſchichten von Perſonen, die ſich aus
ungluͤcklicher Leidenſchaft ſelbſt entleibt hatten. Sie
bedaurten ihr Schickſal, und wuͤnſchten ihnen, durch
ihre Seufzer, ein gluͤcklicheres Schickſal, als ſie in
dieſem Leben gehabt hatten. Gutfried ſchlug ihnen
zur Zerſtreuung von dem anhaltenden Studieren
einen Spatzierritt auf ein, zwo Stunden von Jn-
golſtadt, gelegnes Dorf, vor. Sie nahmen den
Vorſchlag an, und ritten hin. Siegwart dachte
auf dem ganzen Wege an ſein liebes Maͤdchen. Es
ſchmerzte ihn im Jnnerſten, die Stadt, in der ſie
lebte, nur auf einige Stunden zu verlaſſen. Er
glaubte, weis nicht wieviel, zu verſaͤumen, ob er
gleich nicht die geringſte Hofnung hatte, ſie zu ſpre-
chen, oder nur zu ſehen. — Was mag ſie jetzt
machen? dachte er beſtaͤndig. Jetzt wird der En-
gel wohl beten; jetzt wird er vor Gott knien u. ſ. w.
Moͤcht ich ſie nur einen Augenblick erblicken!
Moͤchte ſie nur einen Augenblick an mich denken!
Aber, ach, wie kann ſie das? Wer weis, ob ſie
mich bemerkt hat? Vielleicht iſt ein andrer bey ihr!
Solche und aͤhnliche Vorſtellungen ſtuͤrzten ihn in
die tiefſte Traurigkeit, aus der ihn faſt nichts her-

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[586/0166] Alle drey Juͤnglinge wurden uͤber dieſen Ausruf noch trauriger. Gutfried erzaͤhlte nun ein paar ſchreckliche Geſchichten von Perſonen, die ſich aus ungluͤcklicher Leidenſchaft ſelbſt entleibt hatten. Sie bedaurten ihr Schickſal, und wuͤnſchten ihnen, durch ihre Seufzer, ein gluͤcklicheres Schickſal, als ſie in dieſem Leben gehabt hatten. Gutfried ſchlug ihnen zur Zerſtreuung von dem anhaltenden Studieren einen Spatzierritt auf ein, zwo Stunden von Jn- golſtadt, gelegnes Dorf, vor. Sie nahmen den Vorſchlag an, und ritten hin. Siegwart dachte auf dem ganzen Wege an ſein liebes Maͤdchen. Es ſchmerzte ihn im Jnnerſten, die Stadt, in der ſie lebte, nur auf einige Stunden zu verlaſſen. Er glaubte, weis nicht wieviel, zu verſaͤumen, ob er gleich nicht die geringſte Hofnung hatte, ſie zu ſpre- chen, oder nur zu ſehen. — Was mag ſie jetzt machen? dachte er beſtaͤndig. Jetzt wird der En- gel wohl beten; jetzt wird er vor Gott knien u. ſ. w. Moͤcht ich ſie nur einen Augenblick erblicken! Moͤchte ſie nur einen Augenblick an mich denken! Aber, ach, wie kann ſie das? Wer weis, ob ſie mich bemerkt hat? Vielleicht iſt ein andrer bey ihr! Solche und aͤhnliche Vorſtellungen ſtuͤrzten ihn in die tiefſte Traurigkeit, aus der ihn faſt nichts her-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/166>, abgerufen am 24.11.2024.