Kühn erhubs zu dir sich. Auf den Flügeln ihrer reinen Andacht Schwebt' es, wagte, minder zitternd, Diesen Wunsch: -- Erhör ihn, Schöpfer! --
Leg in deine Wagschaal Meine Tage, die noch kommen sollen! Laß, wenn sie mich liebt, sie sinken! Steigen, wenn sie nicht liebt!
Es war ihm recht wohl, als er dieses Gedicht ge- macht hatte. Er las es mehrmals durch; es gefiel ihm, denn er hatte seiner Empfindung doch eini- germassen ein Gewand und Worte gegeben; ob er gleich unendlich mehr hatte sagen wollen. Er schrieb das Gedicht rein ab, und ergötzte sich noch lange dran, bis ihn Kronhelm zum Essen rief. Da schloß ers schnell und ängstlich in sein Pult ein. -- Gutfried aß nun gewöhnlich auch mit ihnen. Sie erzählten ihm die Geschichte mit dem ertrunkenen Mädchen, und den Jnhalt des Briefes. Er seufzte dabey, und sagte: Gekränkte oder unbelohnte Liebe ist al- les zu thun im Stande! Mit diesen Worten sah er Kronhelm an, der in seiner Liebe zu des Hof- rath Fischers Tochter sein Vertrauter geworden war.
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Kuͤhn erhubs zu dir ſich. Auf den Fluͤgeln ihrer reinen Andacht Schwebt’ es, wagte, minder zitternd, Dieſen Wunſch: — Erhoͤr ihn, Schoͤpfer! —
Leg in deine Wagſchaal Meine Tage, die noch kommen ſollen! Laß, wenn ſie mich liebt, ſie ſinken! Steigen, wenn ſie nicht liebt!
Es war ihm recht wohl, als er dieſes Gedicht ge- macht hatte. Er las es mehrmals durch; es gefiel ihm, denn er hatte ſeiner Empfindung doch eini- germaſſen ein Gewand und Worte gegeben; ob er gleich unendlich mehr hatte ſagen wollen. Er ſchrieb das Gedicht rein ab, und ergoͤtzte ſich noch lange dran, bis ihn Kronhelm zum Eſſen rief. Da ſchloß ers ſchnell und aͤngſtlich in ſein Pult ein. — Gutfried aß nun gewoͤhnlich auch mit ihnen. Sie erzaͤhlten ihm die Geſchichte mit dem ertrunkenen Maͤdchen, und den Jnhalt des Briefes. Er ſeufzte dabey, und ſagte: Gekraͤnkte oder unbelohnte Liebe iſt al- les zu thun im Stande! Mit dieſen Worten ſah er Kronhelm an, der in ſeiner Liebe zu des Hof- rath Fiſchers Tochter ſein Vertrauter geworden war.
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Kuͤhn erhubs zu dir ſich.
Auf den Fluͤgeln ihrer reinen Andacht
Schwebt’ es, wagte, minder zitternd,
Dieſen Wunſch: — Erhoͤr ihn, Schoͤpfer! —
Leg in deine Wagſchaal
Meine Tage, die noch kommen ſollen!
Laß, wenn ſie mich liebt, ſie ſinken!
Steigen, wenn ſie nicht liebt!
Es war ihm recht wohl, als er dieſes Gedicht ge-
macht hatte. Er las es mehrmals durch; es gefiel
ihm, denn er hatte ſeiner Empfindung doch eini-
germaſſen ein Gewand und Worte gegeben; ob er
gleich unendlich mehr hatte ſagen wollen. Er ſchrieb
das Gedicht rein ab, und ergoͤtzte ſich noch lange dran,
bis ihn Kronhelm zum Eſſen rief. Da ſchloß ers
ſchnell und aͤngſtlich in ſein Pult ein. — Gutfried
aß nun gewoͤhnlich auch mit ihnen. Sie erzaͤhlten
ihm die Geſchichte mit dem ertrunkenen Maͤdchen,
und den Jnhalt des Briefes. Er ſeufzte dabey,
und ſagte: Gekraͤnkte oder unbelohnte Liebe iſt al-
les zu thun im Stande! Mit dieſen Worten ſah
er Kronhelm an, der in ſeiner Liebe zu des Hof-
rath Fiſchers Tochter ſein Vertrauter geworden war.
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/165>, abgerufen am 24.11.2024.
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