Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.kehrten Meynung, daß das Wasser ihr aus dem Mund und aus den Ohren laufen möchte. Allein, wenn ein Ertkunkener noch nicht ganz todt ist, so muß er durch dieses Mittel sterben. Das flüssige Blut strömt nach dem Kopf zu, und ein Schlagfluß ist fast unvermeidlich. -- Sie ist todt, sagte der Fischer, gibt kein Anzeichen mehr -- und dann legte er sie wieder nieder, und fieng an, sie genauer zu betrachten. 's ist meiner Seel, kein unfeines Ding; fieng er an; seht mir nur einmal die vollen Backen, und das glatte weisse Kinn! Der hats ge- wiß um 'n Mann gefehlt, oder 's hat sie einer an- g'führt. Hab schon mehr dergleichen Exempel er- lebt. Erst vorigen Sommermarkt hab ich auch so 'n Mädel raus zogen. -- Schaut mir einmal an, was sie für 'n schönen Fingerring hat! Er ist, mei- ner Six, Silber; den will ich mir zu Gemüth füh- ren. Er ist gut für meine Thrine, paßt ihr grad. -- Jndem zog er den Ring vom Finger. -- Muß doch auch sehen, was sie im Sack hat? -- 'n Ro- senkranz! Hat doch auch noch 'n Vaterunser und ein Ave betet! Und da gar 'n Büchel! -- 's ist ein Psalter. Nu, nu, sie hat sich doch vorbereitet. Gott sey der armen Seel gnädig! Will auch ein Ave für sie beten. -- Da steckt ja gar 'n Papier kehrten Meynung, daß das Waſſer ihr aus dem Mund und aus den Ohren laufen moͤchte. Allein, wenn ein Ertkunkener noch nicht ganz todt iſt, ſo muß er durch dieſes Mittel ſterben. Das fluͤſſige Blut ſtroͤmt nach dem Kopf zu, und ein Schlagfluß iſt faſt unvermeidlich. — Sie iſt todt, ſagte der Fiſcher, gibt kein Anzeichen mehr — und dann legte er ſie wieder nieder, und fieng an, ſie genauer zu betrachten. ’s iſt meiner Seel, kein unfeines Ding; fieng er an; ſeht mir nur einmal die vollen Backen, und das glatte weiſſe Kinn! Der hats ge- wiß um ’n Mann gefehlt, oder ’s hat ſie einer an- g’fuͤhrt. Hab ſchon mehr dergleichen Exempel er- lebt. Erſt vorigen Sommermarkt hab ich auch ſo ’n Maͤdel raus zogen. — Schaut mir einmal an, was ſie fuͤr ’n ſchoͤnen Fingerring hat! Er iſt, mei- ner Six, Silber; den will ich mir zu Gemuͤth fuͤh- ren. Er iſt gut fuͤr meine Thrine, paßt ihr grad. — Jndem zog er den Ring vom Finger. — Muß doch auch ſehen, was ſie im Sack hat? — ’n Ro- ſenkranz! Hat doch auch noch ’n Vaterunſer und ein Ave betet! Und da gar ’n Buͤchel! — ’s iſt ein Pſalter. Nu, nu, ſie hat ſich doch vorbereitet. Gott ſey der armen Seel gnaͤdig! Will auch ein Ave fuͤr ſie beten. — Da ſteckt ja gar ’n Papier <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0161" n="581"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> kehrten Meynung, daß das Waſſer ihr aus dem<lb/> Mund und aus den Ohren laufen moͤchte. Allein,<lb/> wenn ein Ertkunkener noch nicht ganz todt iſt, ſo<lb/> muß er durch dieſes Mittel ſterben. Das fluͤſſige<lb/> Blut ſtroͤmt nach dem Kopf zu, und ein Schlagfluß<lb/> iſt faſt unvermeidlich. — Sie iſt todt, ſagte der<lb/> Fiſcher, gibt kein Anzeichen mehr — und dann<lb/> legte er ſie wieder nieder, und fieng an, ſie genauer<lb/> zu betrachten. ’s iſt meiner Seel, kein unfeines<lb/> Ding; fieng er an; ſeht mir nur einmal die vollen<lb/> Backen, und das glatte weiſſe Kinn! Der hats ge-<lb/> wiß um ’n Mann gefehlt, oder ’s hat ſie einer an-<lb/> g’fuͤhrt. Hab ſchon mehr dergleichen Exempel er-<lb/> lebt. Erſt vorigen Sommermarkt hab ich auch ſo<lb/> ’n Maͤdel raus zogen. — Schaut mir einmal an,<lb/> was ſie fuͤr ’n ſchoͤnen Fingerring hat! Er iſt, mei-<lb/> ner Six, Silber; den will ich mir zu Gemuͤth fuͤh-<lb/> ren. Er iſt gut fuͤr meine Thrine, paßt ihr grad.<lb/> — Jndem zog er den Ring vom Finger. — Muß<lb/> doch auch ſehen, was ſie im Sack hat? — ’n Ro-<lb/> ſenkranz! Hat doch auch noch ’n Vaterunſer und<lb/> ein Ave betet! Und da gar ’n Buͤchel! — ’s iſt<lb/> ein Pſalter. Nu, nu, ſie hat ſich doch vorbereitet.<lb/> Gott ſey der armen Seel gnaͤdig! Will auch ein<lb/> Ave fuͤr ſie beten. — Da ſteckt ja gar ’n Papier<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [581/0161]
kehrten Meynung, daß das Waſſer ihr aus dem
Mund und aus den Ohren laufen moͤchte. Allein,
wenn ein Ertkunkener noch nicht ganz todt iſt, ſo
muß er durch dieſes Mittel ſterben. Das fluͤſſige
Blut ſtroͤmt nach dem Kopf zu, und ein Schlagfluß
iſt faſt unvermeidlich. — Sie iſt todt, ſagte der
Fiſcher, gibt kein Anzeichen mehr — und dann
legte er ſie wieder nieder, und fieng an, ſie genauer
zu betrachten. ’s iſt meiner Seel, kein unfeines
Ding; fieng er an; ſeht mir nur einmal die vollen
Backen, und das glatte weiſſe Kinn! Der hats ge-
wiß um ’n Mann gefehlt, oder ’s hat ſie einer an-
g’fuͤhrt. Hab ſchon mehr dergleichen Exempel er-
lebt. Erſt vorigen Sommermarkt hab ich auch ſo
’n Maͤdel raus zogen. — Schaut mir einmal an,
was ſie fuͤr ’n ſchoͤnen Fingerring hat! Er iſt, mei-
ner Six, Silber; den will ich mir zu Gemuͤth fuͤh-
ren. Er iſt gut fuͤr meine Thrine, paßt ihr grad.
— Jndem zog er den Ring vom Finger. — Muß
doch auch ſehen, was ſie im Sack hat? — ’n Ro-
ſenkranz! Hat doch auch noch ’n Vaterunſer und
ein Ave betet! Und da gar ’n Buͤchel! — ’s iſt
ein Pſalter. Nu, nu, ſie hat ſich doch vorbereitet.
Gott ſey der armen Seel gnaͤdig! Will auch ein
Ave fuͤr ſie beten. — Da ſteckt ja gar ’n Papier
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