Zimmer zubrachte. Dieser sprach beständig nur von Theresen. Siegwart muste ganze Abende durch mit ihm von ihr reden, ohngeachtet er jetzt selbst wenig von ihr wuste; denn sie schrieb seltener, als sonst, vermuthlich um Kronhelms willen. Sieg- wart hätte so gern seinem Freund eine Neigung ausgeredet, die allem Anschein nach nie einen glück- lichen Ausgang nehmen konnte; aber wenn er sich nur von fern etwas dergleichen merken ließ, so ward Kronhelm böse oder traurig, und argwohn- te, daß er nicht sein Freund mehr sey. Zerstreuen ließ er sich auch wenig, denn er saß bey den schön- sten Frühlingstagen fast immer zu Hause, und wollte nicht einmal gern Musik machen, wenn Gutfried kam. Gieng Siegwart einmal allein aus, und kam er nicht sogleich wieder heim, so ward er drüber unruhig und unzufrieden. Er wollte den Bruder seiner Therese beständig um sich haben, und sagte ihm oft, daß die Freundschaft so wohl eifer- süchtig sey, als die Liebe. Siegwart, der ihn so unaussprechlich liebte, fügte sich ganz in seine Laune, bedaurte ihn in der Stille, und that ihm alles zu Gefallen.
Nun giengen auch die Kollegia an: Siegwart, der auf der Schule durch seinen Fleiß schon so weit
Zimmer zubrachte. Dieſer ſprach beſtaͤndig nur von Thereſen. Siegwart muſte ganze Abende durch mit ihm von ihr reden, ohngeachtet er jetzt ſelbſt wenig von ihr wuſte; denn ſie ſchrieb ſeltener, als ſonſt, vermuthlich um Kronhelms willen. Sieg- wart haͤtte ſo gern ſeinem Freund eine Neigung ausgeredet, die allem Anſchein nach nie einen gluͤck- lichen Ausgang nehmen konnte; aber wenn er ſich nur von fern etwas dergleichen merken ließ, ſo ward Kronhelm boͤſe oder traurig, und argwohn- te, daß er nicht ſein Freund mehr ſey. Zerſtreuen ließ er ſich auch wenig, denn er ſaß bey den ſchoͤn- ſten Fruͤhlingstagen faſt immer zu Hauſe, und wollte nicht einmal gern Muſik machen, wenn Gutfried kam. Gieng Siegwart einmal allein aus, und kam er nicht ſogleich wieder heim, ſo ward er druͤber unruhig und unzufrieden. Er wollte den Bruder ſeiner Thereſe beſtaͤndig um ſich haben, und ſagte ihm oft, daß die Freundſchaft ſo wohl eifer- ſuͤchtig ſey, als die Liebe. Siegwart, der ihn ſo unausſprechlich liebte, fuͤgte ſich ganz in ſeine Laune, bedaurte ihn in der Stille, und that ihm alles zu Gefallen.
Nun giengen auch die Kollegia an: Siegwart, der auf der Schule durch ſeinen Fleiß ſchon ſo weit
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Zimmer zubrachte. Dieſer ſprach beſtaͤndig nur
von Thereſen. Siegwart muſte ganze Abende durch
mit ihm von ihr reden, ohngeachtet er jetzt ſelbſt
wenig von ihr wuſte; denn ſie ſchrieb ſeltener, als
ſonſt, vermuthlich um Kronhelms willen. Sieg-
wart haͤtte ſo gern ſeinem Freund eine Neigung
ausgeredet, die allem Anſchein nach nie einen gluͤck-
lichen Ausgang nehmen konnte; aber wenn er ſich
nur von fern etwas dergleichen merken ließ, ſo
ward Kronhelm boͤſe oder traurig, und argwohn-
te, daß er nicht ſein Freund mehr ſey. Zerſtreuen
ließ er ſich auch wenig, denn er ſaß bey den ſchoͤn-
ſten Fruͤhlingstagen faſt immer zu Hauſe, und
wollte nicht einmal gern Muſik machen, wenn
Gutfried kam. Gieng Siegwart einmal allein aus,
und kam er nicht ſogleich wieder heim, ſo ward er
druͤber unruhig und unzufrieden. Er wollte den
Bruder ſeiner Thereſe beſtaͤndig um ſich haben, und
ſagte ihm oft, daß die Freundſchaft ſo wohl eifer-
ſuͤchtig ſey, als die Liebe. Siegwart, der ihn
ſo unausſprechlich liebte, fuͤgte ſich ganz in ſeine
Laune, bedaurte ihn in der Stille, und that ihm
alles zu Gefallen.
Nun giengen auch die Kollegia an: Siegwart,
der auf der Schule durch ſeinen Fleiß ſchon ſo weit
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/140>, abgerufen am 25.11.2024.
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