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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Dem Tag und Nacht zu jeder Frist
Der Pursche fein willkommen ist!

Als die beyden Herren ausgesungen hatten --
denn Gutfried sang nicht mit -- so fragte Sieg-
wart, ob sie den Herrn von Kronhelm kennen?
O ja! sagte Boling, er hört mit mir das Ius Ca-
nonicum.
Es ist ein trocknes eingebildetes Bürsch-
chen, das immer aussieht, als obs weinen wollte.
Der Kerl ist mir recht fatal, weil er immer allein
auf der Stube sitzt, und sich viel zu gut dünkt,
mit andern ehrlichen Kerls umzugehen. -- Er ist
doch sehr artig in Gesellschaft, sagte Gutfried; ich
hab ihn ein paarmal im Konzert beym Hofrath
Fischer gesprochen. Er ist nichts weniger als stolz.
Ein Bißchen schwermüthig scheint er wol zu seyn.
Es muß ihm etwas fehlen. Sonst aber ist er sehr
artig, und hat viele Lebensart. -- Er ist mein
vertrauter Freund, sagte Siegwart zu Gutfried;
ich habe zwey Jahre auf der Schule mit ihm zu-
sammen gelebt; wir wurden Ein Herz und Eine
Seele. Jch glaube, daß er mir entgegen kom-
men wird. -- Das soll mir lieb seyn, antworte-
te Gutfried; ich habe schon längst gewünscht, ge-
nauer mit ihm bekannt zu werden; aber es wollte
sich nicht schicken: vielleicht geschiehts jetzt. Ein



Dem Tag und Nacht zu jeder Friſt
Der Purſche fein willkommen iſt!

Als die beyden Herren ausgeſungen hatten —
denn Gutfried ſang nicht mit — ſo fragte Sieg-
wart, ob ſie den Herrn von Kronhelm kennen?
O ja! ſagte Boling, er hoͤrt mit mir das Ius Ca-
nonicum.
Es iſt ein trocknes eingebildetes Buͤrſch-
chen, das immer ausſieht, als obs weinen wollte.
Der Kerl iſt mir recht fatal, weil er immer allein
auf der Stube ſitzt, und ſich viel zu gut duͤnkt,
mit andern ehrlichen Kerls umzugehen. — Er iſt
doch ſehr artig in Geſellſchaft, ſagte Gutfried; ich
hab ihn ein paarmal im Konzert beym Hofrath
Fiſcher geſprochen. Er iſt nichts weniger als ſtolz.
Ein Bißchen ſchwermuͤthig ſcheint er wol zu ſeyn.
Es muß ihm etwas fehlen. Sonſt aber iſt er ſehr
artig, und hat viele Lebensart. — Er iſt mein
vertrauter Freund, ſagte Siegwart zu Gutfried;
ich habe zwey Jahre auf der Schule mit ihm zu-
ſammen gelebt; wir wurden Ein Herz und Eine
Seele. Jch glaube, daß er mir entgegen kom-
men wird. — Das ſoll mir lieb ſeyn, antworte-
te Gutfried; ich habe ſchon laͤngſt gewuͤnſcht, ge-
nauer mit ihm bekannt zu werden; aber es wollte
ſich nicht ſchicken: vielleicht geſchiehts jetzt. Ein

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[548/0128] Dem Tag und Nacht zu jeder Friſt Der Purſche fein willkommen iſt! Als die beyden Herren ausgeſungen hatten — denn Gutfried ſang nicht mit — ſo fragte Sieg- wart, ob ſie den Herrn von Kronhelm kennen? O ja! ſagte Boling, er hoͤrt mit mir das Ius Ca- nonicum. Es iſt ein trocknes eingebildetes Buͤrſch- chen, das immer ausſieht, als obs weinen wollte. Der Kerl iſt mir recht fatal, weil er immer allein auf der Stube ſitzt, und ſich viel zu gut duͤnkt, mit andern ehrlichen Kerls umzugehen. — Er iſt doch ſehr artig in Geſellſchaft, ſagte Gutfried; ich hab ihn ein paarmal im Konzert beym Hofrath Fiſcher geſprochen. Er iſt nichts weniger als ſtolz. Ein Bißchen ſchwermuͤthig ſcheint er wol zu ſeyn. Es muß ihm etwas fehlen. Sonſt aber iſt er ſehr artig, und hat viele Lebensart. — Er iſt mein vertrauter Freund, ſagte Siegwart zu Gutfried; ich habe zwey Jahre auf der Schule mit ihm zu- ſammen gelebt; wir wurden Ein Herz und Eine Seele. Jch glaube, daß er mir entgegen kom- men wird. — Das ſoll mir lieb ſeyn, antworte- te Gutfried; ich habe ſchon laͤngſt gewuͤnſcht, ge- nauer mit ihm bekannt zu werden; aber es wollte ſich nicht ſchicken: vielleicht geſchiehts jetzt. Ein

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/128>, abgerufen am 26.11.2024.