Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.nen Sohn habe, der so alt sey, wie er; daß ihm seine Rebekka vor zwey Jahren gestorben sey u. s. w. Seine Neugierde wollte aus Kaspar eine gleiche Vertraulichkeit herauslocken; aber dieser sagte immer nur: So! und Ja, und Nein. Der Offizier und der Kondukteur spotteten beständig über den Ju- den, fragten ihn verschiedenes; und wenn er zu erzählen anfieng, lachten sie über ihn. Der Offi- zier rief alle Mädchen an, die den Wagen vorbey giengen, und rief ihnen Zoten zu. Wenn ein Bettler an den Wagen kam, so stellte er sich, als ob er etwas Münze herauswürfe; die armen Leu- te suchten lang umsonst im Koth herum, und der Offizier lachte recht aus vollem Halse über seinen, wie er glaubte, glücklichen Einfall. Als sie auf die nächste Station kamen, und den Postillion be- zahlen sollten, kannte Kaspar keine Münze, und wollte dem Schwager statt sechs Kreuzern einen Sechsbäzner geben. Siegwart nahm sich seiner an, und zahlte für ihn aus, sonst wär er in kurzer Zeit um all sein Geld gekommen. Nun setzte sich auch ein junges Mädchen von Donauwerth in den Postwagen, an das sich der Offizier sogleich mach- te. Er brachte so grobe Zoten und Zweydeutigkei- ten vor, daß Siegwart die Augen zuthat, als ob nen Sohn habe, der ſo alt ſey, wie er; daß ihm ſeine Rebekka vor zwey Jahren geſtorben ſey u. ſ. w. Seine Neugierde wollte aus Kaſpar eine gleiche Vertraulichkeit herauslocken; aber dieſer ſagte immer nur: So! und Ja, und Nein. Der Offizier und der Kondukteur ſpotteten beſtaͤndig uͤber den Ju- den, fragten ihn verſchiedenes; und wenn er zu erzaͤhlen anfieng, lachten ſie uͤber ihn. Der Offi- zier rief alle Maͤdchen an, die den Wagen vorbey giengen, und rief ihnen Zoten zu. Wenn ein Bettler an den Wagen kam, ſo ſtellte er ſich, als ob er etwas Muͤnze herauswuͤrfe; die armen Leu- te ſuchten lang umſonſt im Koth herum, und der Offizier lachte recht aus vollem Halſe uͤber ſeinen, wie er glaubte, gluͤcklichen Einfall. Als ſie auf die naͤchſte Station kamen, und den Poſtillion be- zahlen ſollten, kannte Kaſpar keine Muͤnze, und wollte dem Schwager ſtatt ſechs Kreuzern einen Sechsbaͤzner geben. Siegwart nahm ſich ſeiner an, und zahlte fuͤr ihn aus, ſonſt waͤr er in kurzer Zeit um all ſein Geld gekommen. Nun ſetzte ſich auch ein junges Maͤdchen von Donauwerth in den Poſtwagen, an das ſich der Offizier ſogleich mach- te. Er brachte ſo grobe Zoten und Zweydeutigkei- ten vor, daß Siegwart die Augen zuthat, als ob <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0122" n="542"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> nen Sohn habe, der ſo alt ſey, wie er; daß ihm<lb/> ſeine Rebekka vor zwey Jahren geſtorben ſey u. ſ. w.<lb/> Seine Neugierde wollte aus Kaſpar eine gleiche<lb/> Vertraulichkeit herauslocken; aber dieſer ſagte immer<lb/> nur: So! und Ja, und Nein. Der Offizier und<lb/> der Kondukteur ſpotteten beſtaͤndig uͤber den Ju-<lb/> den, fragten ihn verſchiedenes; und wenn er zu<lb/> erzaͤhlen anfieng, lachten ſie uͤber ihn. Der Offi-<lb/> zier rief alle Maͤdchen an, die den Wagen vorbey<lb/> giengen, und rief ihnen Zoten zu. Wenn ein<lb/> Bettler an den Wagen kam, ſo ſtellte er ſich, als<lb/> ob er etwas Muͤnze herauswuͤrfe; die armen Leu-<lb/> te ſuchten lang umſonſt im Koth herum, und der<lb/> Offizier lachte recht aus vollem Halſe uͤber ſeinen,<lb/> wie er glaubte, gluͤcklichen Einfall. Als ſie auf<lb/> die naͤchſte Station kamen, und den Poſtillion be-<lb/> zahlen ſollten, kannte Kaſpar keine Muͤnze, und<lb/> wollte dem Schwager ſtatt ſechs Kreuzern einen<lb/> Sechsbaͤzner geben. Siegwart nahm ſich ſeiner<lb/> an, und zahlte fuͤr ihn aus, ſonſt waͤr er in kurzer<lb/> Zeit um all ſein Geld gekommen. Nun ſetzte ſich<lb/> auch ein junges Maͤdchen von Donauwerth in den<lb/> Poſtwagen, an das ſich der Offizier ſogleich mach-<lb/> te. Er brachte ſo grobe Zoten und Zweydeutigkei-<lb/> ten vor, daß Siegwart die Augen zuthat, als ob<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [542/0122]
nen Sohn habe, der ſo alt ſey, wie er; daß ihm
ſeine Rebekka vor zwey Jahren geſtorben ſey u. ſ. w.
Seine Neugierde wollte aus Kaſpar eine gleiche
Vertraulichkeit herauslocken; aber dieſer ſagte immer
nur: So! und Ja, und Nein. Der Offizier und
der Kondukteur ſpotteten beſtaͤndig uͤber den Ju-
den, fragten ihn verſchiedenes; und wenn er zu
erzaͤhlen anfieng, lachten ſie uͤber ihn. Der Offi-
zier rief alle Maͤdchen an, die den Wagen vorbey
giengen, und rief ihnen Zoten zu. Wenn ein
Bettler an den Wagen kam, ſo ſtellte er ſich, als
ob er etwas Muͤnze herauswuͤrfe; die armen Leu-
te ſuchten lang umſonſt im Koth herum, und der
Offizier lachte recht aus vollem Halſe uͤber ſeinen,
wie er glaubte, gluͤcklichen Einfall. Als ſie auf
die naͤchſte Station kamen, und den Poſtillion be-
zahlen ſollten, kannte Kaſpar keine Muͤnze, und
wollte dem Schwager ſtatt ſechs Kreuzern einen
Sechsbaͤzner geben. Siegwart nahm ſich ſeiner
an, und zahlte fuͤr ihn aus, ſonſt waͤr er in kurzer
Zeit um all ſein Geld gekommen. Nun ſetzte ſich
auch ein junges Maͤdchen von Donauwerth in den
Poſtwagen, an das ſich der Offizier ſogleich mach-
te. Er brachte ſo grobe Zoten und Zweydeutigkei-
ten vor, daß Siegwart die Augen zuthat, als ob
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