zwey Tagen neu gekauft habe. -- Ja, ja, so sagt man! antwortete der Amtmann; indem bließ der Postillion zum Abfahren. Die Amtmännin er- schrack, ward todtblaß, und eilte mit ihren Töch- tern herzu, ihrem Knaben Filzschuhe, ein dickes Halstuch, und einen Ueberrock anzulegen. Der Amtmann trank hurtig seine Bouteille aus, und sprang mit den übrigen an den Wagen. Die Amtmännin herzte und drückte ihren Sohn; hub ihn in den Wagen, fieng ein grosses Geheul an, und wollte den Schlag, der schon zu war, wieder aufreissen, um ihren Sohn noch einmal zu umar- men. -- Fahr zu, Schwager! schrie der Amt- mann, und schlug mit seinem Stock auf die Pfer- de zu. Der Wagen fuhr fort.
Siegwart saß bey dem Officier. Jhm gegen- über der junge Kaspar, neben dem Juden. Er weinte wie ein Kind, und wollte immer aus dem Schlag gucken, um seine Mutter noch einmal zu sehen; aber der Wagen gieng zu schnell, und schmiß ihn immer wieder zurück, wenn er auf- stehen wollte. Der Jude, der die Geschwätzigkeit mit seiner ganzen Nation im hohen Grad gemein hatte, plauderte beständig mit dem jungen Kaspar; erzählte ihm alle seine Familienumstände, daß er ei-
zwey Tagen neu gekauft habe. — Ja, ja, ſo ſagt man! antwortete der Amtmann; indem bließ der Poſtillion zum Abfahren. Die Amtmaͤnnin er- ſchrack, ward todtblaß, und eilte mit ihren Toͤch- tern herzu, ihrem Knaben Filzſchuhe, ein dickes Halstuch, und einen Ueberrock anzulegen. Der Amtmann trank hurtig ſeine Bouteille aus, und ſprang mit den uͤbrigen an den Wagen. Die Amtmaͤnnin herzte und druͤckte ihren Sohn; hub ihn in den Wagen, fieng ein groſſes Geheul an, und wollte den Schlag, der ſchon zu war, wieder aufreiſſen, um ihren Sohn noch einmal zu umar- men. — Fahr zu, Schwager! ſchrie der Amt- mann, und ſchlug mit ſeinem Stock auf die Pfer- de zu. Der Wagen fuhr fort.
Siegwart ſaß bey dem Officier. Jhm gegen- uͤber der junge Kaſpar, neben dem Juden. Er weinte wie ein Kind, und wollte immer aus dem Schlag gucken, um ſeine Mutter noch einmal zu ſehen; aber der Wagen gieng zu ſchnell, und ſchmiß ihn immer wieder zuruͤck, wenn er auf- ſtehen wollte. Der Jude, der die Geſchwaͤtzigkeit mit ſeiner ganzen Nation im hohen Grad gemein hatte, plauderte beſtaͤndig mit dem jungen Kaſpar; erzaͤhlte ihm alle ſeine Familienumſtaͤnde, daß er ei-
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zwey Tagen neu gekauft habe. — Ja, ja, ſo ſagt
man! antwortete der Amtmann; indem bließ der
Poſtillion zum Abfahren. Die Amtmaͤnnin er-
ſchrack, ward todtblaß, und eilte mit ihren Toͤch-
tern herzu, ihrem Knaben Filzſchuhe, ein dickes
Halstuch, und einen Ueberrock anzulegen. Der
Amtmann trank hurtig ſeine Bouteille aus, und
ſprang mit den uͤbrigen an den Wagen. Die
Amtmaͤnnin herzte und druͤckte ihren Sohn; hub
ihn in den Wagen, fieng ein groſſes Geheul an,
und wollte den Schlag, der ſchon zu war, wieder
aufreiſſen, um ihren Sohn noch einmal zu umar-
men. — Fahr zu, Schwager! ſchrie der Amt-
mann, und ſchlug mit ſeinem Stock auf die Pfer-
de zu. Der Wagen fuhr fort.
Siegwart ſaß bey dem Officier. Jhm gegen-
uͤber der junge Kaſpar, neben dem Juden. Er
weinte wie ein Kind, und wollte immer aus dem
Schlag gucken, um ſeine Mutter noch einmal zu
ſehen; aber der Wagen gieng zu ſchnell, und
ſchmiß ihn immer wieder zuruͤck, wenn er auf-
ſtehen wollte. Der Jude, der die Geſchwaͤtzigkeit
mit ſeiner ganzen Nation im hohen Grad gemein
hatte, plauderte beſtaͤndig mit dem jungen Kaſpar;
erzaͤhlte ihm alle ſeine Familienumſtaͤnde, daß er ei-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/121>, abgerufen am 27.11.2024.
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