Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



erste und wichtigste Gebot: Liebe gegen Gott und
gegen Alle Menschen sey. Seine Frau sah sich, wie
in einem neuen Leben; sie glaubte, das Paradies
sey wieder aufgeschlossen worden, und schloß täg-
lich mit Thränen in ihr Gebeth den rechtschaffenen
Pater Anton ein, der sie seit diesem Tage allemal
besuchte, wenn er in ihr Dorf kam.

Voritzt wollten sie ihn mit Gewalt noch län-
ger bey sich behalten, und ihm Kuchen und Wein
vorsetzen; aber er verbats, denn sein Herz war be-
lohnt genug. Laßt mich jetzt weiter, lieben Leute,
sagte er; ich muß noch zum Klosterbauren; Er hat
mir schon ein paarmal sagen lassen, ich möchte doch
ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf wäre;
Er hätte mir gar was wichtiges zu sagen; ich weiß
nicht, was es seyn mag? Jch wollte doch noch ins
nächste Dorf; aber das wird für heute wol zu spät
seyn. Nun, ein andermal! Lebt wohl, Michel,
und haltet, was ihr mir versprochen habt! Und ihr,
Anna, bleibt bey euren guten Gesinnungen! so
wirds euch wohl gehn.

Er gieng, von den ausgesöhnten Eheleuten
noch eine Strecke weit begleitet, mit Siegwart zu
dem Klosterbauren.

E



erſte und wichtigſte Gebot: Liebe gegen Gott und
gegen Alle Menſchen ſey. Seine Frau ſah ſich, wie
in einem neuen Leben; ſie glaubte, das Paradies
ſey wieder aufgeſchloſſen worden, und ſchloß taͤg-
lich mit Thraͤnen in ihr Gebeth den rechtſchaffenen
Pater Anton ein, der ſie ſeit dieſem Tage allemal
beſuchte, wenn er in ihr Dorf kam.

Voritzt wollten ſie ihn mit Gewalt noch laͤn-
ger bey ſich behalten, und ihm Kuchen und Wein
vorſetzen; aber er verbats, denn ſein Herz war be-
lohnt genug. Laßt mich jetzt weiter, lieben Leute,
ſagte er; ich muß noch zum Kloſterbauren; Er hat
mir ſchon ein paarmal ſagen laſſen, ich moͤchte doch
ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf waͤre;
Er haͤtte mir gar was wichtiges zu ſagen; ich weiß
nicht, was es ſeyn mag? Jch wollte doch noch ins
naͤchſte Dorf; aber das wird fuͤr heute wol zu ſpaͤt
ſeyn. Nun, ein andermal! Lebt wohl, Michel,
und haltet, was ihr mir verſprochen habt! Und ihr,
Anna, bleibt bey euren guten Geſinnungen! ſo
wirds euch wohl gehn.

Er gieng, von den ausgeſoͤhnten Eheleuten
noch eine Strecke weit begleitet, mit Siegwart zu
dem Kloſterbauren.

E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0069" n="65"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
er&#x017F;te und wichtig&#x017F;te Gebot: Liebe gegen Gott und<lb/>
gegen Alle Men&#x017F;chen &#x017F;ey. Seine Frau &#x017F;ah &#x017F;ich, wie<lb/>
in einem neuen Leben; &#x017F;ie glaubte, das Paradies<lb/>
&#x017F;ey wieder aufge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en worden, und &#x017F;chloß ta&#x0364;g-<lb/>
lich mit Thra&#x0364;nen in ihr Gebeth den recht&#x017F;chaffenen<lb/>
Pater <hi rendition="#fr">Anton</hi> ein, der &#x017F;ie &#x017F;eit die&#x017F;em Tage allemal<lb/>
be&#x017F;uchte, wenn er in ihr Dorf kam.</p><lb/>
        <p>Voritzt wollten &#x017F;ie ihn mit Gewalt noch la&#x0364;n-<lb/>
ger bey &#x017F;ich behalten, und ihm Kuchen und Wein<lb/>
vor&#x017F;etzen; aber er verbats, denn &#x017F;ein Herz war be-<lb/>
lohnt genug. Laßt mich jetzt weiter, lieben Leute,<lb/>
&#x017F;agte er; ich muß noch zum Klo&#x017F;terbauren; Er hat<lb/>
mir &#x017F;chon ein paarmal &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en, ich mo&#x0364;chte doch<lb/>
ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf wa&#x0364;re;<lb/>
Er ha&#x0364;tte mir gar was wichtiges zu &#x017F;agen; ich weiß<lb/>
nicht, was es &#x017F;eyn mag? Jch wollte doch noch ins<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;te Dorf; aber das wird fu&#x0364;r heute wol zu &#x017F;pa&#x0364;t<lb/>
&#x017F;eyn. Nun, ein andermal! Lebt wohl, <hi rendition="#fr">Michel,</hi><lb/>
und haltet, was ihr mir ver&#x017F;prochen habt! Und ihr,<lb/><hi rendition="#fr">Anna,</hi> bleibt bey euren guten Ge&#x017F;innungen! &#x017F;o<lb/>
wirds euch wohl gehn.</p><lb/>
        <p>Er gieng, von den ausge&#x017F;o&#x0364;hnten Eheleuten<lb/>
noch eine Strecke weit begleitet, mit <hi rendition="#fr">Siegwart</hi> zu<lb/>
dem Klo&#x017F;terbauren.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">E</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0069] erſte und wichtigſte Gebot: Liebe gegen Gott und gegen Alle Menſchen ſey. Seine Frau ſah ſich, wie in einem neuen Leben; ſie glaubte, das Paradies ſey wieder aufgeſchloſſen worden, und ſchloß taͤg- lich mit Thraͤnen in ihr Gebeth den rechtſchaffenen Pater Anton ein, der ſie ſeit dieſem Tage allemal beſuchte, wenn er in ihr Dorf kam. Voritzt wollten ſie ihn mit Gewalt noch laͤn- ger bey ſich behalten, und ihm Kuchen und Wein vorſetzen; aber er verbats, denn ſein Herz war be- lohnt genug. Laßt mich jetzt weiter, lieben Leute, ſagte er; ich muß noch zum Kloſterbauren; Er hat mir ſchon ein paarmal ſagen laſſen, ich moͤchte doch ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf waͤre; Er haͤtte mir gar was wichtiges zu ſagen; ich weiß nicht, was es ſeyn mag? Jch wollte doch noch ins naͤchſte Dorf; aber das wird fuͤr heute wol zu ſpaͤt ſeyn. Nun, ein andermal! Lebt wohl, Michel, und haltet, was ihr mir verſprochen habt! Und ihr, Anna, bleibt bey euren guten Geſinnungen! ſo wirds euch wohl gehn. Er gieng, von den ausgeſoͤhnten Eheleuten noch eine Strecke weit begleitet, mit Siegwart zu dem Kloſterbauren. E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/69
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/69>, abgerufen am 25.11.2024.