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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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essen gieng Siegwart auf sein Zimmer, hatte halb-
traurige und halbfreudige Gedanken, legte sich zu
Bette, und beschäftigte sich die halbe Nacht durch im
Traum mit dem Verstorbenen, den er mit allen Zügen
und Bewegungen auf dem Sterbebette liegen und ver-
scheiden sah. Zuweilen wachte er auf, und da deucht'
es ihm, als ob Engel ihm zulispelten: Folge dem
Gerechten nach! Gleich am Morgen kam Pater
Jgnatz, mit dem Leben des H. Franciscus, und
einigen andern Legenden, deren immer eine fabel-
hafter war, als die andre, zu dem jungen Sieg-
wart,
und empfahl sie ihm nochmals mit tausend
übertriebnen Lobserhebungen zum Durchlesen. Die-
ser hatte kaum zu lesen angefangen, so war seine
ganze, leicht zu erhitzende Einbildungskraft in einer
andern Welt. Seine Seele wurde mit dem
Wunderthäter vertraut, schwärmte mit ihm in der
Welt herum, hatte mit ihm Erscheinungen, und
wuste sich kaum in die neuen überirrdischen Em-
pfindungen zu finden. Er wünschte sich, auch Ver-
mögen zu haben, um es so, wie sein Heiliger, den
Armen auszutheilen; er wünschte, schon den Orden
zu haben, um, gleich seinem Vorbilde, nach Cairo
gehen, und den Türken das Evangelium predigen
zu können. Er hielt schon in Gedanken Predigten,



eſſen gieng Siegwart auf ſein Zimmer, hatte halb-
traurige und halbfreudige Gedanken, legte ſich zu
Bette, und beſchaͤftigte ſich die halbe Nacht durch im
Traum mit dem Verſtorbenen, den er mit allen Zuͤgen
und Bewegungen auf dem Sterbebette liegen und ver-
ſcheiden ſah. Zuweilen wachte er auf, und da deucht’
es ihm, als ob Engel ihm zulispelten: Folge dem
Gerechten nach! Gleich am Morgen kam Pater
Jgnatz, mit dem Leben des H. Franciſcus, und
einigen andern Legenden, deren immer eine fabel-
hafter war, als die andre, zu dem jungen Sieg-
wart,
und empfahl ſie ihm nochmals mit tauſend
uͤbertriebnen Lobserhebungen zum Durchleſen. Die-
ſer hatte kaum zu leſen angefangen, ſo war ſeine
ganze, leicht zu erhitzende Einbildungskraft in einer
andern Welt. Seine Seele wurde mit dem
Wunderthaͤter vertraut, ſchwaͤrmte mit ihm in der
Welt herum, hatte mit ihm Erſcheinungen, und
wuſte ſich kaum in die neuen uͤberirrdiſchen Em-
pfindungen zu finden. Er wuͤnſchte ſich, auch Ver-
moͤgen zu haben, um es ſo, wie ſein Heiliger, den
Armen auszutheilen; er wuͤnſchte, ſchon den Orden
zu haben, um, gleich ſeinem Vorbilde, nach Cairo
gehen, und den Tuͤrken das Evangelium predigen
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[50/0054] eſſen gieng Siegwart auf ſein Zimmer, hatte halb- traurige und halbfreudige Gedanken, legte ſich zu Bette, und beſchaͤftigte ſich die halbe Nacht durch im Traum mit dem Verſtorbenen, den er mit allen Zuͤgen und Bewegungen auf dem Sterbebette liegen und ver- ſcheiden ſah. Zuweilen wachte er auf, und da deucht’ es ihm, als ob Engel ihm zulispelten: Folge dem Gerechten nach! Gleich am Morgen kam Pater Jgnatz, mit dem Leben des H. Franciſcus, und einigen andern Legenden, deren immer eine fabel- hafter war, als die andre, zu dem jungen Sieg- wart, und empfahl ſie ihm nochmals mit tauſend uͤbertriebnen Lobserhebungen zum Durchleſen. Die- ſer hatte kaum zu leſen angefangen, ſo war ſeine ganze, leicht zu erhitzende Einbildungskraft in einer andern Welt. Seine Seele wurde mit dem Wunderthaͤter vertraut, ſchwaͤrmte mit ihm in der Welt herum, hatte mit ihm Erſcheinungen, und wuſte ſich kaum in die neuen uͤberirrdiſchen Em- pfindungen zu finden. Er wuͤnſchte ſich, auch Ver- moͤgen zu haben, um es ſo, wie ſein Heiliger, den Armen auszutheilen; er wuͤnſchte, ſchon den Orden zu haben, um, gleich ſeinem Vorbilde, nach Cairo gehen, und den Tuͤrken das Evangelium predigen zu koͤnnen. Er hielt ſchon in Gedanken Predigten,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/54>, abgerufen am 24.11.2024.