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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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gutes Aussehen viel zu gut thun wollte! --
Freylich ist es besser, sagte Kronhelm, wenn
man noch etwas mehr hat, worauf man stolz
seyn kann! Wer so ein Herz hat wie Sie, mei-
ne Liebe, der kann sich über den Verlust seiner
Schönheit leicht trösten. Aber wie wenig Mäd-
chen können das? -- Sie ward roth, und sagte:
auf dieß Kompliment hab ich nicht gerechnet;
sonst hätt ich sein geschwiegen! -- Es ist kein
Kompliment, antwortete Kronhelm; Sie wissen,
daß ich Komplimente hasse. -- Nun kamen sie
beym alten Siegwart wieder an. Er wollte
erst nicht zugeben, daß sie nicht ins Bette gehen
sollten; aber, als sie ihn so dringend um Erlaub-
niß drum baten, gab er ihnen nach. Um vier
Uhr, sagt' er, will ich wieder aufstehen, denn ich
hab die Ruhe nöthiger, als ihr. Sie giengen
nun zum letztenmal in Garten, und bald drauf
aufs Zimmer, denn der Himmel ward immer
wolkichter und trüber, und es blitzte schon von
ferne. Das Herz war ihnen jetzt auch schwer,
aber doch weniger, als gestern; denn der Gedan-
ke an die nahe Trennung war ihnen schon min-
der neu. Sie setzten das Licht aus dem Zimmer
in die Kammer, weil ihnen die Dämmerung
lieber war, und weil sie so die Blitze, die immer
häusiger wurden, besser sehen konnten. Sieg-
wart setzte sich in einen Lehnstuhl am Ofen, und
schlummerte ein wenig; doch sprach er auch zu-
weilen mit. Kronhelm schlang um Theresen
seinen Arm; vor ihnen lag der Messias, und
zwar die Stelle von Semida und Cidli aufge-
schlagen, die sie vorher noch einmal gelesen hat-
ten. Das Gewitter zog immer näher, und man
hörte schon von fernher donnern. Sie traten



gutes Ausſehen viel zu gut thun wollte! —
Freylich iſt es beſſer, ſagte Kronhelm, wenn
man noch etwas mehr hat, worauf man ſtolz
ſeyn kann! Wer ſo ein Herz hat wie Sie, mei-
ne Liebe, der kann ſich uͤber den Verluſt ſeiner
Schoͤnheit leicht troͤſten. Aber wie wenig Maͤd-
chen koͤnnen das? — Sie ward roth, und ſagte:
auf dieß Kompliment hab ich nicht gerechnet;
ſonſt haͤtt ich ſein geſchwiegen! — Es iſt kein
Kompliment, antwortete Kronhelm; Sie wiſſen,
daß ich Komplimente haſſe. — Nun kamen ſie
beym alten Siegwart wieder an. Er wollte
erſt nicht zugeben, daß ſie nicht ins Bette gehen
ſollten; aber, als ſie ihn ſo dringend um Erlaub-
niß drum baten, gab er ihnen nach. Um vier
Uhr, ſagt’ er, will ich wieder aufſtehen, denn ich
hab die Ruhe noͤthiger, als ihr. Sie giengen
nun zum letztenmal in Garten, und bald drauf
aufs Zimmer, denn der Himmel ward immer
wolkichter und truͤber, und es blitzte ſchon von
ferne. Das Herz war ihnen jetzt auch ſchwer,
aber doch weniger, als geſtern; denn der Gedan-
ke an die nahe Trennung war ihnen ſchon min-
der neu. Sie ſetzten das Licht aus dem Zimmer
in die Kammer, weil ihnen die Daͤmmerung
lieber war, und weil ſie ſo die Blitze, die immer
haͤuſiger wurden, beſſer ſehen konnten. Sieg-
wart ſetzte ſich in einen Lehnſtuhl am Ofen, und
ſchlummerte ein wenig; doch ſprach er auch zu-
weilen mit. Kronhelm ſchlang um Thereſen
ſeinen Arm; vor ihnen lag der Meſſias, und
zwar die Stelle von Semida und Cidli aufge-
ſchlagen, die ſie vorher noch einmal geleſen hat-
ten. Das Gewitter zog immer naͤher, und man
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[421/0425] gutes Ausſehen viel zu gut thun wollte! — Freylich iſt es beſſer, ſagte Kronhelm, wenn man noch etwas mehr hat, worauf man ſtolz ſeyn kann! Wer ſo ein Herz hat wie Sie, mei- ne Liebe, der kann ſich uͤber den Verluſt ſeiner Schoͤnheit leicht troͤſten. Aber wie wenig Maͤd- chen koͤnnen das? — Sie ward roth, und ſagte: auf dieß Kompliment hab ich nicht gerechnet; ſonſt haͤtt ich ſein geſchwiegen! — Es iſt kein Kompliment, antwortete Kronhelm; Sie wiſſen, daß ich Komplimente haſſe. — Nun kamen ſie beym alten Siegwart wieder an. Er wollte erſt nicht zugeben, daß ſie nicht ins Bette gehen ſollten; aber, als ſie ihn ſo dringend um Erlaub- niß drum baten, gab er ihnen nach. Um vier Uhr, ſagt’ er, will ich wieder aufſtehen, denn ich hab die Ruhe noͤthiger, als ihr. Sie giengen nun zum letztenmal in Garten, und bald drauf aufs Zimmer, denn der Himmel ward immer wolkichter und truͤber, und es blitzte ſchon von ferne. Das Herz war ihnen jetzt auch ſchwer, aber doch weniger, als geſtern; denn der Gedan- ke an die nahe Trennung war ihnen ſchon min- der neu. Sie ſetzten das Licht aus dem Zimmer in die Kammer, weil ihnen die Daͤmmerung lieber war, und weil ſie ſo die Blitze, die immer haͤuſiger wurden, beſſer ſehen konnten. Sieg- wart ſetzte ſich in einen Lehnſtuhl am Ofen, und ſchlummerte ein wenig; doch ſprach er auch zu- weilen mit. Kronhelm ſchlang um Thereſen ſeinen Arm; vor ihnen lag der Meſſias, und zwar die Stelle von Semida und Cidli aufge- ſchlagen, die ſie vorher noch einmal geleſen hat- ten. Das Gewitter zog immer naͤher, und man hoͤrte ſchon von fernher donnern. Sie traten

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/425>, abgerufen am 22.11.2024.