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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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dessen Freundschast alles bey mir überwog. Vor
der Schlacht bey Torgau sassen wir zusammen,
und giengen die Geschichte unsrer Freundschaft
miteinander durch; wo und wie lang wir schon
einander haben kennen lernen? Welche Freuden
wir gemeinschaftlich genossen, welche Leiden wir
gemeinschaftlich getragen haben? Alle Augenblicke
stiessen wir auf Handlungen, die von seinem edeln
Herzen zeugten, und mir dankbare Thränen aus
den Augen lockten. Endlich, als wir beyde recht
bewegt waren, gaben wir uns die Hände, um-
armten uns, schwuren uns aufs neue Freundschaft,
und wünschten, daß wir nur noch lang jedes
Schicksal unsers Lebens miteinander theilen möch-
ten! Den Tag drauf war die Schlacht. Nach
derselben ritt ich auf der Wahlstatt herum, und
fand meines Freundes Kopf, der durch eine Ka-
nonenkugel vom Rumpf weggerissen war. Jch
glaubte, das Herz wäre mir durchbohrt, als ichs
sah. Als ich drauf ins nächste Städtchen ritt,
kam mir seine Frau mit vier Kindern entgegen,
fragte nach ihrem Mann, und ich muste der To-
desbote seyn. Sie wuste sich nicht mehr zu fas-
sen; verfluchte den Krieg, und mich, und die gan-
ze Welt! So hab ich schon manchen Freund



deſſen Freundſchaſt alles bey mir uͤberwog. Vor
der Schlacht bey Torgau ſaſſen wir zuſammen,
und giengen die Geſchichte unſrer Freundſchaft
miteinander durch; wo und wie lang wir ſchon
einander haben kennen lernen? Welche Freuden
wir gemeinſchaftlich genoſſen, welche Leiden wir
gemeinſchaftlich getragen haben? Alle Augenblicke
ſtieſſen wir auf Handlungen, die von ſeinem edeln
Herzen zeugten, und mir dankbare Thraͤnen aus
den Augen lockten. Endlich, als wir beyde recht
bewegt waren, gaben wir uns die Haͤnde, um-
armten uns, ſchwuren uns aufs neue Freundſchaft,
und wuͤnſchten, daß wir nur noch lang jedes
Schickſal unſers Lebens miteinander theilen moͤch-
ten! Den Tag drauf war die Schlacht. Nach
derſelben ritt ich auf der Wahlſtatt herum, und
fand meines Freundes Kopf, der durch eine Ka-
nonenkugel vom Rumpf weggeriſſen war. Jch
glaubte, das Herz waͤre mir durchbohrt, als ichs
ſah. Als ich drauf ins naͤchſte Staͤdtchen ritt,
kam mir ſeine Frau mit vier Kindern entgegen,
fragte nach ihrem Mann, und ich muſte der To-
desbote ſeyn. Sie wuſte ſich nicht mehr zu faſ-
ſen; verfluchte den Krieg, und mich, und die gan-
ze Welt! So hab ich ſchon manchen Freund

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[362/0366] deſſen Freundſchaſt alles bey mir uͤberwog. Vor der Schlacht bey Torgau ſaſſen wir zuſammen, und giengen die Geſchichte unſrer Freundſchaft miteinander durch; wo und wie lang wir ſchon einander haben kennen lernen? Welche Freuden wir gemeinſchaftlich genoſſen, welche Leiden wir gemeinſchaftlich getragen haben? Alle Augenblicke ſtieſſen wir auf Handlungen, die von ſeinem edeln Herzen zeugten, und mir dankbare Thraͤnen aus den Augen lockten. Endlich, als wir beyde recht bewegt waren, gaben wir uns die Haͤnde, um- armten uns, ſchwuren uns aufs neue Freundſchaft, und wuͤnſchten, daß wir nur noch lang jedes Schickſal unſers Lebens miteinander theilen moͤch- ten! Den Tag drauf war die Schlacht. Nach derſelben ritt ich auf der Wahlſtatt herum, und fand meines Freundes Kopf, der durch eine Ka- nonenkugel vom Rumpf weggeriſſen war. Jch glaubte, das Herz waͤre mir durchbohrt, als ichs ſah. Als ich drauf ins naͤchſte Staͤdtchen ritt, kam mir ſeine Frau mit vier Kindern entgegen, fragte nach ihrem Mann, und ich muſte der To- desbote ſeyn. Sie wuſte ſich nicht mehr zu faſ- ſen; verfluchte den Krieg, und mich, und die gan- ze Welt! So hab ich ſchon manchen Freund

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/366>, abgerufen am 24.11.2024.