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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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der eigne Kraft hat, drinn zu arbeiten, das, was
einem erwachsnen Mann ein Gängelband ist;
Aber Hyacinth trug sie noch dabey so erbärm-
lich und abschröckend vor, daß, wenn Siegwart
die Dichtkunst, und auch in etwas die Redekunst
nicht schon vorher gekannt hätte, er sich nun ge-
wiß nie drum bekümmert haben würde. Regeln
werden einen nie, weder zum Redner noch
zum Dichter machen. Alles also, was man in
den Schulen thun kann, wäre, daß man junge
Leute frühzeitig mit den besten Mustern der Red-
ner und Dichter bekannt, ihnen sie verständlich,
und sie auf versteckte, oder Hauptschönheiten auf-
merksam machte. Aber dafür trägt man lieber
Recepte zu elenden und unnatürlichen Chrien
vor; und lehrt, wie ein Deutscher elende latei-
nische
Verse machen soll? Abgeschmaktere und
widersinnischere Erziehungsregeln kann wol kaum
ein Phantasirender in der hitzigsten Krankheit
träumen!

Jm Junius wurden die Rollen zu dem
Schuldrama ausgetheilt, das im August, am En-
de des Schuljahrs sollte aufgeführt werden. Das
Stück war biblisch, und enthielt die Geschichte
der Athalia. Siegwart bekam die Rolle des



der eigne Kraft hat, drinn zu arbeiten, das, was
einem erwachſnen Mann ein Gaͤngelband iſt;
Aber Hyacinth trug ſie noch dabey ſo erbaͤrm-
lich und abſchroͤckend vor, daß, wenn Siegwart
die Dichtkunſt, und auch in etwas die Redekunſt
nicht ſchon vorher gekannt haͤtte, er ſich nun ge-
wiß nie drum bekuͤmmert haben wuͤrde. Regeln
werden einen nie, weder zum Redner noch
zum Dichter machen. Alles alſo, was man in
den Schulen thun kann, waͤre, daß man junge
Leute fruͤhzeitig mit den beſten Muſtern der Red-
ner und Dichter bekannt, ihnen ſie verſtaͤndlich,
und ſie auf verſteckte, oder Hauptſchoͤnheiten auf-
merkſam machte. Aber dafuͤr traͤgt man lieber
Recepte zu elenden und unnatuͤrlichen Chrien
vor; und lehrt, wie ein Deutſcher elende latei-
niſche
Verſe machen ſoll? Abgeſchmaktere und
widerſinniſchere Erziehungsregeln kann wol kaum
ein Phantaſirender in der hitzigſten Krankheit
traͤumen!

Jm Junius wurden die Rollen zu dem
Schuldrama ausgetheilt, das im Auguſt, am En-
de des Schuljahrs ſollte aufgefuͤhrt werden. Das
Stuͤck war bibliſch, und enthielt die Geſchichte
der Athalia. Siegwart bekam die Rolle des

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[334/0338] der eigne Kraft hat, drinn zu arbeiten, das, was einem erwachſnen Mann ein Gaͤngelband iſt; Aber Hyacinth trug ſie noch dabey ſo erbaͤrm- lich und abſchroͤckend vor, daß, wenn Siegwart die Dichtkunſt, und auch in etwas die Redekunſt nicht ſchon vorher gekannt haͤtte, er ſich nun ge- wiß nie drum bekuͤmmert haben wuͤrde. Regeln werden einen nie, weder zum Redner noch zum Dichter machen. Alles alſo, was man in den Schulen thun kann, waͤre, daß man junge Leute fruͤhzeitig mit den beſten Muſtern der Red- ner und Dichter bekannt, ihnen ſie verſtaͤndlich, und ſie auf verſteckte, oder Hauptſchoͤnheiten auf- merkſam machte. Aber dafuͤr traͤgt man lieber Recepte zu elenden und unnatuͤrlichen Chrien vor; und lehrt, wie ein Deutſcher elende latei- niſche Verſe machen ſoll? Abgeſchmaktere und widerſinniſchere Erziehungsregeln kann wol kaum ein Phantaſirender in der hitzigſten Krankheit traͤumen! Jm Junius wurden die Rollen zu dem Schuldrama ausgetheilt, das im Auguſt, am En- de des Schuljahrs ſollte aufgefuͤhrt werden. Das Stuͤck war bibliſch, und enthielt die Geſchichte der Athalia. Siegwart bekam die Rolle des

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/338>, abgerufen am 22.11.2024.