Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>


Schwierigkeiten weg, so fand er soviel ausseror-
dentliches, himmlisches und überirdisches in dem
Gedicht; seine ganze Seele ward davon so erfüllt,
und erhitzt, daß er nicht mehr auf der Welt zu
seyn glaubte, und in lauter Himmelswonne
schwamm. Oft sprang er auf; wiederholte laut,
was er gelesen hatte, und konnte nicht begreifen,
wie ein Mensch im Stand gewesen sey, derglei-
chen hervorzubringen? Die ganze Nacht schlum-
merte er nur, und las beständig noch im Traume
fort. Klopstocken, dessen Herz an so vielen hun-
dert Stellen des Messias durchschimmert, liebte
er von dem Augenblick an mit der kindlichsten
Dankbarkeit, und den andern Tag machte er fol-
gendes Gedicht an ihn, das erste, was er, nach
dem auf seines Bruders Tod, gemacht hatte:

An Klopstock.
Heisser Dank ström aus in Thränen!
Ström dem Mann, von Gott gesandt, zu!
Hör, o Mann, des Jünglings Stammeln!
Seine Seele stammelts.
Fern, in fremdem Lande hast Du
Feuer in mein Herz gegossen!


Schwierigkeiten weg, ſo fand er ſoviel auſſeror-
dentliches, himmliſches und uͤberirdiſches in dem
Gedicht; ſeine ganze Seele ward davon ſo erfuͤllt,
und erhitzt, daß er nicht mehr auf der Welt zu
ſeyn glaubte, und in lauter Himmelswonne
ſchwamm. Oft ſprang er auf; wiederholte laut,
was er geleſen hatte, und konnte nicht begreifen,
wie ein Menſch im Stand geweſen ſey, derglei-
chen hervorzubringen? Die ganze Nacht ſchlum-
merte er nur, und las beſtaͤndig noch im Traume
fort. Klopſtocken, deſſen Herz an ſo vielen hun-
dert Stellen des Meſſias durchſchimmert, liebte
er von dem Augenblick an mit der kindlichſten
Dankbarkeit, und den andern Tag machte er fol-
gendes Gedicht an ihn, das erſte, was er, nach
dem auf ſeines Bruders Tod, gemacht hatte:

An Klopſtock.
Heiſſer Dank ſtroͤm aus in Thraͤnen!
Stroͤm dem Mann, von Gott geſandt, zu!
Hoͤr, o Mann, des Juͤnglings Stammeln!
Seine Seele ſtammelts.
Fern, in fremdem Lande haſt Du
Feuer in mein Herz gegoſſen!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0331" n="327"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Schwierigkeiten weg, &#x017F;o fand er &#x017F;oviel au&#x017F;&#x017F;eror-<lb/>
dentliches, himmli&#x017F;ches und u&#x0364;berirdi&#x017F;ches in dem<lb/>
Gedicht; &#x017F;eine ganze Seele ward davon &#x017F;o erfu&#x0364;llt,<lb/>
und erhitzt, daß er nicht mehr auf der Welt zu<lb/>
&#x017F;eyn glaubte, und in lauter Himmelswonne<lb/>
&#x017F;chwamm. Oft &#x017F;prang er auf; wiederholte laut,<lb/>
was er gele&#x017F;en hatte, und konnte nicht begreifen,<lb/>
wie ein Men&#x017F;ch im Stand gewe&#x017F;en &#x017F;ey, derglei-<lb/>
chen hervorzubringen? Die ganze Nacht &#x017F;chlum-<lb/>
merte er nur, und las be&#x017F;ta&#x0364;ndig noch im Traume<lb/>
fort. <hi rendition="#fr">Klop&#x017F;tocken,</hi> de&#x017F;&#x017F;en Herz an &#x017F;o vielen hun-<lb/>
dert Stellen des <hi rendition="#fr">Me&#x017F;&#x017F;ias</hi> durch&#x017F;chimmert, liebte<lb/>
er von dem Augenblick an mit der kindlich&#x017F;ten<lb/>
Dankbarkeit, und den andern Tag machte er fol-<lb/>
gendes Gedicht an ihn, das er&#x017F;te, was er, nach<lb/>
dem auf &#x017F;eines Bruders Tod, gemacht hatte:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">An Klop&#x017F;tock.</hi> </hi> </head><lb/>
          <lg n="1">
            <l>Hei&#x017F;&#x017F;er Dank &#x017F;tro&#x0364;m aus in Thra&#x0364;nen!</l><lb/>
            <l>Stro&#x0364;m dem Mann, von Gott ge&#x017F;andt, zu!</l><lb/>
            <l>Ho&#x0364;r, o Mann, des Ju&#x0364;nglings Stammeln!</l><lb/>
            <l>Seine Seele &#x017F;tammelts.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Fern, in fremdem Lande ha&#x017F;t Du</l><lb/>
            <l>Feuer in mein Herz gego&#x017F;&#x017F;en!</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0331] Schwierigkeiten weg, ſo fand er ſoviel auſſeror- dentliches, himmliſches und uͤberirdiſches in dem Gedicht; ſeine ganze Seele ward davon ſo erfuͤllt, und erhitzt, daß er nicht mehr auf der Welt zu ſeyn glaubte, und in lauter Himmelswonne ſchwamm. Oft ſprang er auf; wiederholte laut, was er geleſen hatte, und konnte nicht begreifen, wie ein Menſch im Stand geweſen ſey, derglei- chen hervorzubringen? Die ganze Nacht ſchlum- merte er nur, und las beſtaͤndig noch im Traume fort. Klopſtocken, deſſen Herz an ſo vielen hun- dert Stellen des Meſſias durchſchimmert, liebte er von dem Augenblick an mit der kindlichſten Dankbarkeit, und den andern Tag machte er fol- gendes Gedicht an ihn, das erſte, was er, nach dem auf ſeines Bruders Tod, gemacht hatte: An Klopſtock. Heiſſer Dank ſtroͤm aus in Thraͤnen! Stroͤm dem Mann, von Gott geſandt, zu! Hoͤr, o Mann, des Juͤnglings Stammeln! Seine Seele ſtammelts. Fern, in fremdem Lande haſt Du Feuer in mein Herz gegoſſen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/331
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/331>, abgerufen am 22.11.2024.