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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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in ein Grab legte, und dann, als eine Braut
Christi, wieder aufstand; den Trauring anlegte;
und ihren Bräutigam, ein wächsernes Christkind,
mit Flittergold behangen, auf den Arm nahm;
als sie drauf in einem Zimmer ausgezogen; ihres
Myrthenkranzes, und ihres schönen blonden Haa-
res beraubt, und in eine grobe braune Kut-
te gehüllt wurde. Todtenblaß kam nun das
Mädchen, das eben noch wie eine Blume ge-
blüht hatte, heraus, und ward auf ewig in das
Kloster eingeschlossen. Kronhelm ergrimmte bey
sich selbst; verwünschte das Gesetz und den Aber-
glauben, der solche Verwüstungen im menschlichen
Geschlecht anrichtet, und konnte etliche Tage lang
sich dieser Vorstellung, die ihm seine Seele ver-
wundete, nicht entschlagen. Siegwart hingegen
war vor himmlischem Entzücken ganz ausser sich;
erblickte nichts als Engel und Heilige um sich her-
um; und pries die Baronessinn, und jedes Mäd-
chen selig, das ihr folgte. Er hörte nachher noch
ost von der Orgel herab ihre Stimme, die sich
über den Gesang der andern Nonnen erhob,
und glaubte; sie weit freudiger singen zu hören,
als die übrigen.

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in ein Grab legte, und dann, als eine Braut
Chriſti, wieder aufſtand; den Trauring anlegte;
und ihren Braͤutigam, ein waͤchſernes Chriſtkind,
mit Flittergold behangen, auf den Arm nahm;
als ſie drauf in einem Zimmer ausgezogen; ihres
Myrthenkranzes, und ihres ſchoͤnen blonden Haa-
res beraubt, und in eine grobe braune Kut-
te gehuͤllt wurde. Todtenblaß kam nun das
Maͤdchen, das eben noch wie eine Blume ge-
bluͤht hatte, heraus, und ward auf ewig in das
Kloſter eingeſchloſſen. Kronhelm ergrimmte bey
ſich ſelbſt; verwuͤnſchte das Geſetz und den Aber-
glauben, der ſolche Verwuͤſtungen im menſchlichen
Geſchlecht anrichtet, und konnte etliche Tage lang
ſich dieſer Vorſtellung, die ihm ſeine Seele ver-
wundete, nicht entſchlagen. Siegwart hingegen
war vor himmliſchem Entzuͤcken ganz auſſer ſich;
erblickte nichts als Engel und Heilige um ſich her-
um; und pries die Baroneſſinn, und jedes Maͤd-
chen ſelig, das ihr folgte. Er hoͤrte nachher noch
oſt von der Orgel herab ihre Stimme, die ſich
uͤber den Geſang der andern Nonnen erhob,
und glaubte; ſie weit freudiger ſingen zu hoͤren,
als die uͤbrigen.

X
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[321/0325] in ein Grab legte, und dann, als eine Braut Chriſti, wieder aufſtand; den Trauring anlegte; und ihren Braͤutigam, ein waͤchſernes Chriſtkind, mit Flittergold behangen, auf den Arm nahm; als ſie drauf in einem Zimmer ausgezogen; ihres Myrthenkranzes, und ihres ſchoͤnen blonden Haa- res beraubt, und in eine grobe braune Kut- te gehuͤllt wurde. Todtenblaß kam nun das Maͤdchen, das eben noch wie eine Blume ge- bluͤht hatte, heraus, und ward auf ewig in das Kloſter eingeſchloſſen. Kronhelm ergrimmte bey ſich ſelbſt; verwuͤnſchte das Geſetz und den Aber- glauben, der ſolche Verwuͤſtungen im menſchlichen Geſchlecht anrichtet, und konnte etliche Tage lang ſich dieſer Vorſtellung, die ihm ſeine Seele ver- wundete, nicht entſchlagen. Siegwart hingegen war vor himmliſchem Entzuͤcken ganz auſſer ſich; erblickte nichts als Engel und Heilige um ſich her- um; und pries die Baroneſſinn, und jedes Maͤd- chen ſelig, das ihr folgte. Er hoͤrte nachher noch oſt von der Orgel herab ihre Stimme, die ſich uͤber den Geſang der andern Nonnen erhob, und glaubte; ſie weit freudiger ſingen zu hoͤren, als die uͤbrigen. X

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/325>, abgerufen am 25.11.2024.