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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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nen. -- Nachdem er sich die Nacht durch ganz
müde phantasirt hatte, so fiel er gegen Morgen
in einen tiefen Schlummer, der dem Tode fast
ähnlich sah. Kronhelm und Siegwart warfen
sich auf ihr Bette, und blieben bis gegen Mittag
liegen.

Als sie wieder auf das Krankenzimmer ka-
men, so war der Pater aufgewacht, und sah weit
heiterer und frischer aus. Der Schlaf hatte den Ab-
gang seiner Kräfte wieder ersetzt und der Arzt, der
eben dazu kam, faßte nicht geringe Hofnung zu seiner
Besserung. Er konnte wieder etwas Nahrung zu sich
nehmen, und das Jrrereden blieb aus. Kron-
helm
und Siegwart wurden, durch diese Hof-
nung, wie neubelebt, und konnten nun erst um
die Gesundheit ihres Freundes beten; vorher
hatten sie's nicht gekonnt. Er ward merklich bes-
ser, und konnte nach ein paar Tagen schon wie-
der eine halbe Stunde auf sitzen. Die beyden
Jünglinge waren unaufhörlich um ihn, und lern-
ten aus seinem Munde tausend weise Lehren;
denn nichts ist lehrreicher, als das Krankenbette
eines weisen Christen; Nirgends dringen die Leh-
ren tiefer ein. Nun lernten Kronhelm und
Siegwart erst das Glück recht schätzen, einen sol-



nen. — Nachdem er ſich die Nacht durch ganz
muͤde phantaſirt hatte, ſo fiel er gegen Morgen
in einen tiefen Schlummer, der dem Tode faſt
aͤhnlich ſah. Kronhelm und Siegwart warfen
ſich auf ihr Bette, und blieben bis gegen Mittag
liegen.

Als ſie wieder auf das Krankenzimmer ka-
men, ſo war der Pater aufgewacht, und ſah weit
heiterer und friſcher aus. Der Schlaf hatte den Ab-
gang ſeiner Kraͤfte wieder erſetzt und der Arzt, der
eben dazu kam, faßte nicht geringe Hofnung zu ſeiner
Beſſerung. Er konnte wieder etwas Nahrung zu ſich
nehmen, und das Jrrereden blieb aus. Kron-
helm
und Siegwart wurden, durch dieſe Hof-
nung, wie neubelebt, und konnten nun erſt um
die Geſundheit ihres Freundes beten; vorher
hatten ſie’s nicht gekonnt. Er ward merklich beſ-
ſer, und konnte nach ein paar Tagen ſchon wie-
der eine halbe Stunde auf ſitzen. Die beyden
Juͤnglinge waren unaufhoͤrlich um ihn, und lern-
ten aus ſeinem Munde tauſend weiſe Lehren;
denn nichts iſt lehrreicher, als das Krankenbette
eines weiſen Chriſten; Nirgends dringen die Leh-
ren tiefer ein. Nun lernten Kronhelm und
Siegwart erſt das Gluͤck recht ſchaͤtzen, einen ſol-

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[307/0311] nen. — Nachdem er ſich die Nacht durch ganz muͤde phantaſirt hatte, ſo fiel er gegen Morgen in einen tiefen Schlummer, der dem Tode faſt aͤhnlich ſah. Kronhelm und Siegwart warfen ſich auf ihr Bette, und blieben bis gegen Mittag liegen. Als ſie wieder auf das Krankenzimmer ka- men, ſo war der Pater aufgewacht, und ſah weit heiterer und friſcher aus. Der Schlaf hatte den Ab- gang ſeiner Kraͤfte wieder erſetzt und der Arzt, der eben dazu kam, faßte nicht geringe Hofnung zu ſeiner Beſſerung. Er konnte wieder etwas Nahrung zu ſich nehmen, und das Jrrereden blieb aus. Kron- helm und Siegwart wurden, durch dieſe Hof- nung, wie neubelebt, und konnten nun erſt um die Geſundheit ihres Freundes beten; vorher hatten ſie’s nicht gekonnt. Er ward merklich beſ- ſer, und konnte nach ein paar Tagen ſchon wie- der eine halbe Stunde auf ſitzen. Die beyden Juͤnglinge waren unaufhoͤrlich um ihn, und lern- ten aus ſeinem Munde tauſend weiſe Lehren; denn nichts iſt lehrreicher, als das Krankenbette eines weiſen Chriſten; Nirgends dringen die Leh- ren tiefer ein. Nun lernten Kronhelm und Siegwart erſt das Gluͤck recht ſchaͤtzen, einen ſol-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/311>, abgerufen am 22.11.2024.