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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Hände aus und faltete sie. Endlich wachte er mit
heftiger Bewegung auf, blickte wild umher, und
sagte hastig: Bald ists vorbey! Nur noch Ein-
mal! .. Jch hab ihn schon gesehen! . Er ist schröck-
lich! .. und schön! .. und fürchterlich! ...
Dann sah er wieder um sich, erblickte die beyden
Jünglinge; lächelte; gab Siegwarten die Hand,
und sagte: Seyd ihr auch noch da? Jch dachte,
ihr wäret längst gestorben! -- Dann schwieg er
wieder, und bewegte nur die Lippen, vermuthlich,
um zu beten, denn sein mattes Aug sah mühsam
in die Höhe. -- Kronhelm und Siegwart ba-
ten den P. Johann, daß sie die Nacht bey ih-
rem Lehrer wachen dürften. Er gab es gerne
zu, weil er durch ein paar Nachtwachen schon
sehr abgemattet war, und die meisten Lehrer die
Ferien über verreist waren. Er setzte sich in ei-
nen Lehnstuhl, um zu schlafen, und bat, ihn nur
dann zu wecken, wenns mit dem Pater merklich
schlimmer würde. Dieser phantasirte fast die
ganze Nacht durch; nur zuweilen hatte er lichte
Augenblicke, und dann sprach er aufs zärtlichste
mit seinen Freunden, ermunterte sie zur christli-
chen Rechtschaffenheit, und sagte: ohne sie würd
er dem Tod nicht so getrost entgegen sehen kön-



Haͤnde aus und faltete ſie. Endlich wachte er mit
heftiger Bewegung auf, blickte wild umher, und
ſagte haſtig: Bald iſts vorbey! Nur noch Ein-
mal! .. Jch hab ihn ſchon geſehen! . Er iſt ſchroͤck-
lich! .. und ſchoͤn! .. und fuͤrchterlich! …
Dann ſah er wieder um ſich, erblickte die beyden
Juͤnglinge; laͤchelte; gab Siegwarten die Hand,
und ſagte: Seyd ihr auch noch da? Jch dachte,
ihr waͤret laͤngſt geſtorben! — Dann ſchwieg er
wieder, und bewegte nur die Lippen, vermuthlich,
um zu beten, denn ſein mattes Aug ſah muͤhſam
in die Hoͤhe. — Kronhelm und Siegwart ba-
ten den P. Johann, daß ſie die Nacht bey ih-
rem Lehrer wachen duͤrften. Er gab es gerne
zu, weil er durch ein paar Nachtwachen ſchon
ſehr abgemattet war, und die meiſten Lehrer die
Ferien uͤber verreiſt waren. Er ſetzte ſich in ei-
nen Lehnſtuhl, um zu ſchlafen, und bat, ihn nur
dann zu wecken, wenns mit dem Pater merklich
ſchlimmer wuͤrde. Dieſer phantaſirte faſt die
ganze Nacht durch; nur zuweilen hatte er lichte
Augenblicke, und dann ſprach er aufs zaͤrtlichſte
mit ſeinen Freunden, ermunterte ſie zur chriſtli-
chen Rechtſchaffenheit, und ſagte: ohne ſie wuͤrd
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[306/0310] Haͤnde aus und faltete ſie. Endlich wachte er mit heftiger Bewegung auf, blickte wild umher, und ſagte haſtig: Bald iſts vorbey! Nur noch Ein- mal! .. Jch hab ihn ſchon geſehen! . Er iſt ſchroͤck- lich! .. und ſchoͤn! .. und fuͤrchterlich! … Dann ſah er wieder um ſich, erblickte die beyden Juͤnglinge; laͤchelte; gab Siegwarten die Hand, und ſagte: Seyd ihr auch noch da? Jch dachte, ihr waͤret laͤngſt geſtorben! — Dann ſchwieg er wieder, und bewegte nur die Lippen, vermuthlich, um zu beten, denn ſein mattes Aug ſah muͤhſam in die Hoͤhe. — Kronhelm und Siegwart ba- ten den P. Johann, daß ſie die Nacht bey ih- rem Lehrer wachen duͤrften. Er gab es gerne zu, weil er durch ein paar Nachtwachen ſchon ſehr abgemattet war, und die meiſten Lehrer die Ferien uͤber verreiſt waren. Er ſetzte ſich in ei- nen Lehnſtuhl, um zu ſchlafen, und bat, ihn nur dann zu wecken, wenns mit dem Pater merklich ſchlimmer wuͤrde. Dieſer phantaſirte faſt die ganze Nacht durch; nur zuweilen hatte er lichte Augenblicke, und dann ſprach er aufs zaͤrtlichſte mit ſeinen Freunden, ermunterte ſie zur chriſtli- chen Rechtſchaffenheit, und ſagte: ohne ſie wuͤrd er dem Tod nicht ſo getroſt entgegen ſehen koͤn-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/310>, abgerufen am 22.11.2024.