Kronhelm. Darf ich mich erkühnen, Sie zu fragen, wenns nicht zu verwegen ist, hat er Absichten auf Sie?
Regina. Jch weiß nicht, Herr von Kron- helm! Aber soviel kann ich sagen, daß ich keine auf ihn habe. Wenn er mir auch weniger mißfiele, so würd ich doch Bedenken tragen, in die Stadt zu gehen. Jch bin sie so überdrüssig geworden, und das Land, mit aller seiner Ruhe, zieht mein Herz so sehr an sich, daß ich nur da recht lebe. Tau- sendmal, Herr Siegwart, hab ich mit Jhrer lieben Schwester drüber gesprochen, und mich ganz in Träumereyen vertieft.
Siegwart. Ja, sie ist auch ganz Jhrer Meynung, gnädges Fräulein, und zieht das Land allem andern vor.
Regina. Denken Sie sich einmal, Herr von Kronhelm -- denn ich weiß, Sie lieben auch das Land -- was das schön ist? Zwey Seelen, die einander über alles lieben, und nun hier, der Welt unbekannt, in stiller Ruhe leben! Die ganze Gegend, mit allen ihren Reizen blüht für sie. Ungestört betrachten sie alle Schönheiten und Ver- änderungen der Natur. Kein Stadtgerücht, kei- ne Verläumdung naht sich ihnen. Was müssen
Kronhelm. Darf ich mich erkuͤhnen, Sie zu fragen, wenns nicht zu verwegen iſt, hat er Abſichten auf Sie?
Regina. Jch weiß nicht, Herr von Kron- helm! Aber ſoviel kann ich ſagen, daß ich keine auf ihn habe. Wenn er mir auch weniger mißfiele, ſo wuͤrd ich doch Bedenken tragen, in die Stadt zu gehen. Jch bin ſie ſo uͤberdruͤſſig geworden, und das Land, mit aller ſeiner Ruhe, zieht mein Herz ſo ſehr an ſich, daß ich nur da recht lebe. Tau- ſendmal, Herr Siegwart, hab ich mit Jhrer lieben Schweſter druͤber geſprochen, und mich ganz in Traͤumereyen vertieft.
Siegwart. Ja, ſie iſt auch ganz Jhrer Meynung, gnaͤdges Fraͤulein, und zieht das Land allem andern vor.
Regina. Denken Sie ſich einmal, Herr von Kronhelm — denn ich weiß, Sie lieben auch das Land — was das ſchoͤn iſt? Zwey Seelen, die einander uͤber alles lieben, und nun hier, der Welt unbekannt, in ſtiller Ruhe leben! Die ganze Gegend, mit allen ihren Reizen bluͤht fuͤr ſie. Ungeſtoͤrt betrachten ſie alle Schoͤnheiten und Ver- aͤnderungen der Natur. Kein Stadtgeruͤcht, kei- ne Verlaͤumdung naht ſich ihnen. Was muͤſſen
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Kronhelm. Darf ich mich erkuͤhnen, Sie
zu fragen, wenns nicht zu verwegen iſt, hat er
Abſichten auf Sie?
Regina. Jch weiß nicht, Herr von Kron-
helm! Aber ſoviel kann ich ſagen, daß ich keine auf
ihn habe. Wenn er mir auch weniger mißfiele, ſo
wuͤrd ich doch Bedenken tragen, in die Stadt zu
gehen. Jch bin ſie ſo uͤberdruͤſſig geworden, und
das Land, mit aller ſeiner Ruhe, zieht mein Herz
ſo ſehr an ſich, daß ich nur da recht lebe. Tau-
ſendmal, Herr Siegwart, hab ich mit Jhrer lieben
Schweſter druͤber geſprochen, und mich ganz in
Traͤumereyen vertieft.
Siegwart. Ja, ſie iſt auch ganz Jhrer
Meynung, gnaͤdges Fraͤulein, und zieht das Land
allem andern vor.
Regina. Denken Sie ſich einmal, Herr von
Kronhelm — denn ich weiß, Sie lieben auch
das Land — was das ſchoͤn iſt? Zwey Seelen,
die einander uͤber alles lieben, und nun hier, der
Welt unbekannt, in ſtiller Ruhe leben! Die ganze
Gegend, mit allen ihren Reizen bluͤht fuͤr ſie.
Ungeſtoͤrt betrachten ſie alle Schoͤnheiten und Ver-
aͤnderungen der Natur. Kein Stadtgeruͤcht, kei-
ne Verlaͤumdung naht ſich ihnen. Was muͤſſen
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/289>, abgerufen am 24.11.2024.
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