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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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von dem war sein Herz nicht mehr abzuziehen;
sein Freund müßte denn lasterhaft geworden seyn.
Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn
er war in der Wahl seiner Freunde vorsichtig und
langsam. Er machte keine Freundschaftsversiche-
rungen, und bot seine Dienste niemals an; aber,
sobald sein Freund sie nötig hatte, half er ihm,
ohne was davon zu sagen.

Vierzehn Tage nach seiner Gefangenschaft
wurde Kreutzner seinem Vater überliefert, und,
auf dessen Verfügung, unter ein Kayserliches Re-
giment in Ungarn gesteckt. Er hatte gewünscht,
unsern Siegwart noch einmal zu sprechen; dieser
verbat sichs aber, weil er ihn zu sehr verachtete;
doch schickte er ihm noch aus Milleiden etwas Geld
zu, weil er vom Famulus gehört hatte, daß er
halb krank, und von allem Nöthigen entblößt sey.

Bald drauf schrieb Siegwart seiner Schwe-
ster Therese, die er während seines genauern Um-
gangs mit Kreutzner fast vergessen hatte. Er
bat sie, wegen seines längern Schweigens, sehr
beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig
die Ursache davon, und berichtete ihr Kreutzners
Schicksal. Von P. Philipp und Kronhelms
Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr



von dem war ſein Herz nicht mehr abzuziehen;
ſein Freund muͤßte denn laſterhaft geworden ſeyn.
Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn
er war in der Wahl ſeiner Freunde vorſichtig und
langſam. Er machte keine Freundſchaftsverſiche-
rungen, und bot ſeine Dienſte niemals an; aber,
ſobald ſein Freund ſie noͤtig hatte, half er ihm,
ohne was davon zu ſagen.

Vierzehn Tage nach ſeiner Gefangenſchaft
wurde Kreutzner ſeinem Vater uͤberliefert, und,
auf deſſen Verfuͤgung, unter ein Kayſerliches Re-
giment in Ungarn geſteckt. Er hatte gewuͤnſcht,
unſern Siegwart noch einmal zu ſprechen; dieſer
verbat ſichs aber, weil er ihn zu ſehr verachtete;
doch ſchickte er ihm noch aus Milleiden etwas Geld
zu, weil er vom Famulus gehoͤrt hatte, daß er
halb krank, und von allem Noͤthigen entbloͤßt ſey.

Bald drauf ſchrieb Siegwart ſeiner Schwe-
ſter Thereſe, die er waͤhrend ſeines genauern Um-
gangs mit Kreutzner faſt vergeſſen hatte. Er
bat ſie, wegen ſeines laͤngern Schweigens, ſehr
beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig
die Urſache davon, und berichtete ihr Kreutzners
Schickſal. Von P. Philipp und Kronhelms
Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr

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[210/0214] von dem war ſein Herz nicht mehr abzuziehen; ſein Freund muͤßte denn laſterhaft geworden ſeyn. Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn er war in der Wahl ſeiner Freunde vorſichtig und langſam. Er machte keine Freundſchaftsverſiche- rungen, und bot ſeine Dienſte niemals an; aber, ſobald ſein Freund ſie noͤtig hatte, half er ihm, ohne was davon zu ſagen. Vierzehn Tage nach ſeiner Gefangenſchaft wurde Kreutzner ſeinem Vater uͤberliefert, und, auf deſſen Verfuͤgung, unter ein Kayſerliches Re- giment in Ungarn geſteckt. Er hatte gewuͤnſcht, unſern Siegwart noch einmal zu ſprechen; dieſer verbat ſichs aber, weil er ihn zu ſehr verachtete; doch ſchickte er ihm noch aus Milleiden etwas Geld zu, weil er vom Famulus gehoͤrt hatte, daß er halb krank, und von allem Noͤthigen entbloͤßt ſey. Bald drauf ſchrieb Siegwart ſeiner Schwe- ſter Thereſe, die er waͤhrend ſeines genauern Um- gangs mit Kreutzner faſt vergeſſen hatte. Er bat ſie, wegen ſeines laͤngern Schweigens, ſehr beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig die Urſache davon, und berichtete ihr Kreutzners Schickſal. Von P. Philipp und Kronhelms Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/214>, abgerufen am 24.11.2024.