Kreutzner stund auf, gieng von Einem Pater zu dem andern, küßte jedem die Hand, und dankte aufs feurigste, als eben die beyden Famuli herein traten, und zehn bis zwölf Bücher in Franzband unter dem Arm trugen. Das haben wir in Kreutzners Bette gefunden, sagten sie; die Bücher lagen unter dem Kissen, ganz im Stroh versteckt, und diese Oberhemden auch; vermuthlich sind sie dem jungen Siegwart, denn es ist ein S drein ge- näht. -- Kreutzner ward auf einmal todtblaß. Die Bücher sehen ja aus, wie meine, sagte P. Philipp und schlug die Titel auf; ja wahrhaftig: Die Auszüge aus der allgemeinen Weltgeschich- te; der Thuanus, und P. Daniels Geschichte von Frankreich. Wie ist er zu diesen Büchern gekommen, Monsieur Kreutzner? Dieser stand, wie versteinert da, und sprach kein Wort.
Nun, nun, wir sehen, was das für ein Wolf in Schafskleidern ist, sagte der Prior. Nicht wahr, feiner Geselle, das hast du gestohlen? Hur- tig, Famulus, bringt ihn ins Carcer, bis wir das Weitere mit dem Bösewicht verfügen! Das ist ein Glück, daß wir da noch darhinter gekommen sind! Hätten wir gar einen Hausdieb im Kloster! Ohne Umstände! Fort mit ihm!
Kreutzner ſtund auf, gieng von Einem Pater zu dem andern, kuͤßte jedem die Hand, und dankte aufs feurigſte, als eben die beyden Famuli herein traten, und zehn bis zwoͤlf Buͤcher in Franzband unter dem Arm trugen. Das haben wir in Kreutzners Bette gefunden, ſagten ſie; die Buͤcher lagen unter dem Kiſſen, ganz im Stroh verſteckt, und dieſe Oberhemden auch; vermuthlich ſind ſie dem jungen Siegwart, denn es iſt ein S drein ge- naͤht. — Kreutzner ward auf einmal todtblaß. Die Buͤcher ſehen ja aus, wie meine, ſagte P. Philipp und ſchlug die Titel auf; ja wahrhaftig: Die Auszuͤge aus der allgemeinen Weltgeſchich- te; der Thuanus, und P. Daniels Geſchichte von Frankreich. Wie iſt er zu dieſen Buͤchern gekommen, Monſieur Kreutzner? Dieſer ſtand, wie verſteinert da, und ſprach kein Wort.
Nun, nun, wir ſehen, was das fuͤr ein Wolf in Schafskleidern iſt, ſagte der Prior. Nicht wahr, feiner Geſelle, das haſt du geſtohlen? Hur- tig, Famulus, bringt ihn ins Carcer, bis wir das Weitere mit dem Boͤſewicht verfuͤgen! Das iſt ein Gluͤck, daß wir da noch darhinter gekommen ſind! Haͤtten wir gar einen Hausdieb im Kloſter! Ohne Umſtaͤnde! Fort mit ihm!
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[203/0207]
Kreutzner ſtund auf, gieng von Einem Pater
zu dem andern, kuͤßte jedem die Hand, und dankte
aufs feurigſte, als eben die beyden Famuli herein
traten, und zehn bis zwoͤlf Buͤcher in Franzband
unter dem Arm trugen. Das haben wir in
Kreutzners Bette gefunden, ſagten ſie; die Buͤcher
lagen unter dem Kiſſen, ganz im Stroh verſteckt,
und dieſe Oberhemden auch; vermuthlich ſind ſie
dem jungen Siegwart, denn es iſt ein S drein ge-
naͤht. — Kreutzner ward auf einmal todtblaß.
Die Buͤcher ſehen ja aus, wie meine, ſagte P.
Philipp und ſchlug die Titel auf; ja wahrhaftig:
Die Auszuͤge aus der allgemeinen Weltgeſchich-
te; der Thuanus, und P. Daniels Geſchichte
von Frankreich. Wie iſt er zu dieſen Buͤchern
gekommen, Monſieur Kreutzner? Dieſer ſtand,
wie verſteinert da, und ſprach kein Wort.
Nun, nun, wir ſehen, was das fuͤr ein Wolf
in Schafskleidern iſt, ſagte der Prior. Nicht
wahr, feiner Geſelle, das haſt du geſtohlen? Hur-
tig, Famulus, bringt ihn ins Carcer, bis wir das
Weitere mit dem Boͤſewicht verfuͤgen! Das iſt ein
Gluͤck, daß wir da noch darhinter gekommen ſind!
Haͤtten wir gar einen Hausdieb im Kloſter! Ohne
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/207>, abgerufen am 24.11.2024.
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