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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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ihrem Vorgesetzten, um nur recht oft ausgehen zu
können. Dann giengen sie nach einem Gasthof
vor der Stadt, wo noch andre junge Leute waren;
spielten da Kegel, und betranken sich ein paarmal.
Kreutzner wollte Xavern so gar einmal überreden,
sich mit ihm bey Nacht aus dem Kloster zu schlei-
chen; aber so weit war er doch noch nicht verdor-
ben, daß er in einen solchen Vorschlag mit eingewil-
ligt hätte. Als einmal beyde Geldmangel hatten,
verkauften sie drey oder vier von ihren besten
Büchern. Kronhelm, der dieß alles mitleidig mit
ansah, schrieb einmal, ohne seinen Namen zu nen-
nen, mit verstellten Zügen einen Brief an Sieg-
wart, worinn er ihn sehr rührend vor Kreutznern
warnte. Aber dieß half nichts. Siegwart ließ
den Brief Kreutznern selber lesen; sie spotteten
darüber, und verbrannten ihn. Kronhelm ge-
wann auch weiter nichts damit, als daß ihn Kreutz-
ner
nur noch mehr haßte, weil er ihn sogleich für
den Urheber des Briefs hielt.

Eines Abends kam Kreutzner nach Hause,
und sagte: Xaver, diese Nacht muß ich hinaus!
Jch habe einen Bekannten in der Stadt, der ist
krank, und ich hab ihm versprochen, diese Nacht
bey ihm zu wachen. Einen Liebesdienst, wie die-



ihrem Vorgeſetzten, um nur recht oft ausgehen zu
koͤnnen. Dann giengen ſie nach einem Gaſthof
vor der Stadt, wo noch andre junge Leute waren;
ſpielten da Kegel, und betranken ſich ein paarmal.
Kreutzner wollte Xavern ſo gar einmal uͤberreden,
ſich mit ihm bey Nacht aus dem Kloſter zu ſchlei-
chen; aber ſo weit war er doch noch nicht verdor-
ben, daß er in einen ſolchen Vorſchlag mit eingewil-
ligt haͤtte. Als einmal beyde Geldmangel hatten,
verkauften ſie drey oder vier von ihren beſten
Buͤchern. Kronhelm, der dieß alles mitleidig mit
anſah, ſchrieb einmal, ohne ſeinen Namen zu nen-
nen, mit verſtellten Zuͤgen einen Brief an Sieg-
wart, worinn er ihn ſehr ruͤhrend vor Kreutznern
warnte. Aber dieß half nichts. Siegwart ließ
den Brief Kreutznern ſelber leſen; ſie ſpotteten
daruͤber, und verbrannten ihn. Kronhelm ge-
wann auch weiter nichts damit, als daß ihn Kreutz-
ner
nur noch mehr haßte, weil er ihn ſogleich fuͤr
den Urheber des Briefs hielt.

Eines Abends kam Kreutzner nach Hauſe,
und ſagte: Xaver, dieſe Nacht muß ich hinaus!
Jch habe einen Bekannten in der Stadt, der iſt
krank, und ich hab ihm verſprochen, dieſe Nacht
bey ihm zu wachen. Einen Liebesdienſt, wie die-

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[199/0203] ihrem Vorgeſetzten, um nur recht oft ausgehen zu koͤnnen. Dann giengen ſie nach einem Gaſthof vor der Stadt, wo noch andre junge Leute waren; ſpielten da Kegel, und betranken ſich ein paarmal. Kreutzner wollte Xavern ſo gar einmal uͤberreden, ſich mit ihm bey Nacht aus dem Kloſter zu ſchlei- chen; aber ſo weit war er doch noch nicht verdor- ben, daß er in einen ſolchen Vorſchlag mit eingewil- ligt haͤtte. Als einmal beyde Geldmangel hatten, verkauften ſie drey oder vier von ihren beſten Buͤchern. Kronhelm, der dieß alles mitleidig mit anſah, ſchrieb einmal, ohne ſeinen Namen zu nen- nen, mit verſtellten Zuͤgen einen Brief an Sieg- wart, worinn er ihn ſehr ruͤhrend vor Kreutznern warnte. Aber dieß half nichts. Siegwart ließ den Brief Kreutznern ſelber leſen; ſie ſpotteten daruͤber, und verbrannten ihn. Kronhelm ge- wann auch weiter nichts damit, als daß ihn Kreutz- ner nur noch mehr haßte, weil er ihn ſogleich fuͤr den Urheber des Briefs hielt. Eines Abends kam Kreutzner nach Hauſe, und ſagte: Xaver, dieſe Nacht muß ich hinaus! Jch habe einen Bekannten in der Stadt, der iſt krank, und ich hab ihm verſprochen, dieſe Nacht bey ihm zu wachen. Einen Liebesdienſt, wie die-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/203>, abgerufen am 24.11.2024.