trog, wo er konnte. Den andern Tag hatte Siegwart noch frey, und richtete seine Sachen ein. P. Philipp ließ ihn Abends auf sein Zimmer kom- men, und sprach viel mit ihm. Sein freyes, muntres Wesen und seine Herablassung nahm ihn sehr ein. Er erzälte, mit der grösten Anmuth, allerley Anekdoten aus der Geschichte, die seine Lieblingswissenschaft war; mischte rührende Be- merkungen mit ein, die von seinem edeln Herzen zeugten, und wieß viele artige Landschaften vor, die er selbst mit Tusch gezeichnet hatte. Xaver gieng sehr vergnügt weg, nachdem er vorher, zu seiner größten Freude, hatte versprechen müssen, ihn öfters Abends zu besuchen, oder einen Spa- tziergang mit ihm zu machen. Er mußte wieder mit Kreutznern spielen, und verlohr diesmal ei- nen Gulden.
Den folgenden Tag wurde er von den vier obersten Professoren, unter denen P. Philipp auch war, examinirt. Sie waren mit seiner Herz- haftigkeit, und seinen treffenden Antworten, die von seinem gesunden Verstande zeugten, sehr zu- frieden, und beschlossen einmüthig, ihn in die drit- te Klasse zu setzen, wo der Syntax, oder die gründliche Erlernung des Lateinischen hauptsäch-
trog, wo er konnte. Den andern Tag hatte Siegwart noch frey, und richtete ſeine Sachen ein. P. Philipp ließ ihn Abends auf ſein Zimmer kom- men, und ſprach viel mit ihm. Sein freyes, muntres Weſen und ſeine Herablaſſung nahm ihn ſehr ein. Er erzaͤlte, mit der groͤſten Anmuth, allerley Anekdoten aus der Geſchichte, die ſeine Lieblingswiſſenſchaft war; miſchte ruͤhrende Be- merkungen mit ein, die von ſeinem edeln Herzen zeugten, und wieß viele artige Landſchaften vor, die er ſelbſt mit Tuſch gezeichnet hatte. Xaver gieng ſehr vergnuͤgt weg, nachdem er vorher, zu ſeiner groͤßten Freude, hatte verſprechen muͤſſen, ihn oͤfters Abends zu beſuchen, oder einen Spa- tziergang mit ihm zu machen. Er mußte wieder mit Kreutznern ſpielen, und verlohr diesmal ei- nen Gulden.
Den folgenden Tag wurde er von den vier oberſten Profeſſoren, unter denen P. Philipp auch war, examinirt. Sie waren mit ſeiner Herz- haftigkeit, und ſeinen treffenden Antworten, die von ſeinem geſunden Verſtande zeugten, ſehr zu- frieden, und beſchloſſen einmuͤthig, ihn in die drit- te Klaſſe zu ſetzen, wo der Syntax, oder die gruͤndliche Erlernung des Lateiniſchen hauptſaͤch-
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trog, wo er konnte. Den andern Tag hatte
Siegwart noch frey, und richtete ſeine Sachen ein.
P. Philipp ließ ihn Abends auf ſein Zimmer kom-
men, und ſprach viel mit ihm. Sein freyes,
muntres Weſen und ſeine Herablaſſung nahm ihn
ſehr ein. Er erzaͤlte, mit der groͤſten Anmuth,
allerley Anekdoten aus der Geſchichte, die ſeine
Lieblingswiſſenſchaft war; miſchte ruͤhrende Be-
merkungen mit ein, die von ſeinem edeln Herzen
zeugten, und wieß viele artige Landſchaften vor,
die er ſelbſt mit Tuſch gezeichnet hatte. Xaver
gieng ſehr vergnuͤgt weg, nachdem er vorher, zu
ſeiner groͤßten Freude, hatte verſprechen muͤſſen,
ihn oͤfters Abends zu beſuchen, oder einen Spa-
tziergang mit ihm zu machen. Er mußte wieder
mit Kreutznern ſpielen, und verlohr diesmal ei-
nen Gulden.
Den folgenden Tag wurde er von den vier
oberſten Profeſſoren, unter denen P. Philipp
auch war, examinirt. Sie waren mit ſeiner Herz-
haftigkeit, und ſeinen treffenden Antworten, die
von ſeinem geſunden Verſtande zeugten, ſehr zu-
frieden, und beſchloſſen einmuͤthig, ihn in die drit-
te Klaſſe zu ſetzen, wo der Syntax, oder die
gruͤndliche Erlernung des Lateiniſchen hauptſaͤch-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/187>, abgerufen am 16.02.2025.
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