vermerkt wieder auf. Beyde Jünglinge schienen sich in der Seele zu lesen; jeder glaubte, den andern lange schon zu kennen; und stillschweigend faßten sie, in der ersten Stunde, ein Zutrauen zu einander, das nachher so sehr befestigt wurde.
Nach dem Essen wurden in den verschied- nen Klassen Stunden gehalten. Siegwart gieng mit Kreutznern in seine Klasse, wo, nach der Klostereinrichtung, der Syntax gelehrt wurde. Der Unterricht des Lehrers, der mit Ernst und Liebe vermischt war, nahm unsern Siegwart sehr ein. Die Piaristen haben überhaupt in der ka- tholischen Kirche das gröste Verdienst um die Er- ziehung; weil sie sich fast mit nichts, als mit ihr, zu beschäftigen haben, und daher alle, dazu nöti- gen Kenntnisse sich erwerben können; da hingegen die Jesuiten tausend andre, oft sehr tadelnswehr- te Zwecke zu erreichen suchen. Den Abend mußte Siegwart, wider seine Neigung, mit Kreutznern auf einem Spatziergang zubringen; denn er wäre lieber beym P. Philipp, oder bey dem jungen Kronhelm gewesen.
Kreutzner that über die Massen freundlich; lächelte beständig, wenn er sprach; drückte Sieg- warten oft die Hand, und gewann dadurch den
vermerkt wieder auf. Beyde Juͤnglinge ſchienen ſich in der Seele zu leſen; jeder glaubte, den andern lange ſchon zu kennen; und ſtillſchweigend faßten ſie, in der erſten Stunde, ein Zutrauen zu einander, das nachher ſo ſehr befeſtigt wurde.
Nach dem Eſſen wurden in den verſchied- nen Klaſſen Stunden gehalten. Siegwart gieng mit Kreutznern in ſeine Klaſſe, wo, nach der Kloſtereinrichtung, der Syntax gelehrt wurde. Der Unterricht des Lehrers, der mit Ernſt und Liebe vermiſcht war, nahm unſern Siegwart ſehr ein. Die Piariſten haben uͤberhaupt in der ka- tholiſchen Kirche das groͤſte Verdienſt um die Er- ziehung; weil ſie ſich faſt mit nichts, als mit ihr, zu beſchaͤftigen haben, und daher alle, dazu noͤti- gen Kenntniſſe ſich erwerben koͤnnen; da hingegen die Jeſuiten tauſend andre, oft ſehr tadelnswehr- te Zwecke zu erreichen ſuchen. Den Abend mußte Siegwart, wider ſeine Neigung, mit Kreutznern auf einem Spatziergang zubringen; denn er waͤre lieber beym P. Philipp, oder bey dem jungen Kronhelm geweſen.
Kreutzner that uͤber die Maſſen freundlich; laͤchelte beſtaͤndig, wenn er ſprach; druͤckte Sieg- warten oft die Hand, und gewann dadurch den
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vermerkt wieder auf. Beyde Juͤnglinge ſchienen
ſich in der Seele zu leſen; jeder glaubte, den
andern lange ſchon zu kennen; und ſtillſchweigend
faßten ſie, in der erſten Stunde, ein Zutrauen zu
einander, das nachher ſo ſehr befeſtigt wurde.
Nach dem Eſſen wurden in den verſchied-
nen Klaſſen Stunden gehalten. Siegwart gieng
mit Kreutznern in ſeine Klaſſe, wo, nach der
Kloſtereinrichtung, der Syntax gelehrt wurde.
Der Unterricht des Lehrers, der mit Ernſt und
Liebe vermiſcht war, nahm unſern Siegwart ſehr
ein. Die Piariſten haben uͤberhaupt in der ka-
tholiſchen Kirche das groͤſte Verdienſt um die Er-
ziehung; weil ſie ſich faſt mit nichts, als mit ihr,
zu beſchaͤftigen haben, und daher alle, dazu noͤti-
gen Kenntniſſe ſich erwerben koͤnnen; da hingegen
die Jeſuiten tauſend andre, oft ſehr tadelnswehr-
te Zwecke zu erreichen ſuchen. Den Abend mußte
Siegwart, wider ſeine Neigung, mit Kreutznern
auf einem Spatziergang zubringen; denn er waͤre
lieber beym P. Philipp, oder bey dem jungen
Kronhelm geweſen.
Kreutzner that uͤber die Maſſen freundlich;
laͤchelte beſtaͤndig, wenn er ſprach; druͤckte Sieg-
warten oft die Hand, und gewann dadurch den
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/185>, abgerufen am 25.11.2024.
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