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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Nach einer Stunde hielt der Wagen in einem
Dorfe, wo die Pferde gefüttert wurden. Xaver
gieng in die Wirthsstube, wo der Wirth, ein dicker
Mann, und Schulz im Dorfe, mit zween Bau-
ren heftig stritt. Der Streit war über das Wild-
schiessen, und bey Gelegenheit einer Erzählung au-
gegangen, daß den Tag vorher zween Wilddiebe
von den fürstlichen Jägern wären aufgehoben wor-
den. -- Denen wird was schönes zubereitet wer-
den, sagte der Wirth. Wenn's mir nachgienge,
müßten all auf Hirsche geschmiedet werden; aber
unser Fürst ist viel zu gnädig; der läßt ihnen höch-
stens noch den Daumen und den grossen Zehen
lähmen.

Gerg. So, beym Teufel! Jhr seyd mir der
rechte! Ja wohl, auf Hirsche schmieden! 's ist mei-
ner Seel, schon zu viel, daß man den armen Leu-
ten so was thut! Man sollt jeden schiessen lassen,
was und wie er will! Unser Herr Gott hat das
Wild erschaffen, und 's lauft für den Einen rum,
wie für den andern. Nicht so, Vetter Michel?
Was hältst du davon?

Michel. Jch weiß dir selbst nicht, was ich
sagen soll? Wenn ich Fürst wäre, ließ ich freylich
jeden schiessen; denn ich wüste nicht, warum ich



Nach einer Stunde hielt der Wagen in einem
Dorfe, wo die Pferde gefuͤttert wurden. Xaver
gieng in die Wirthsſtube, wo der Wirth, ein dicker
Mann, und Schulz im Dorfe, mit zween Bau-
ren heftig ſtritt. Der Streit war uͤber das Wild-
ſchieſſen, und bey Gelegenheit einer Erzaͤhlung au-
gegangen, daß den Tag vorher zween Wilddiebe
von den fuͤrſtlichen Jaͤgern waͤren aufgehoben wor-
den. — Denen wird was ſchoͤnes zubereitet wer-
den, ſagte der Wirth. Wenn’s mir nachgienge,
muͤßten all auf Hirſche geſchmiedet werden; aber
unſer Fuͤrſt iſt viel zu gnaͤdig; der laͤßt ihnen hoͤch-
ſtens noch den Daumen und den groſſen Zehen
laͤhmen.

Gerg. So, beym Teufel! Jhr ſeyd mir der
rechte! Ja wohl, auf Hirſche ſchmieden! ’s iſt mei-
ner Seel, ſchon zu viel, daß man den armen Leu-
ten ſo was thut! Man ſollt jeden ſchieſſen laſſen,
was und wie er will! Unſer Herr Gott hat das
Wild erſchaffen, und ’s lauft fuͤr den Einen rum,
wie fuͤr den andern. Nicht ſo, Vetter Michel?
Was haͤltſt du davon?

Michel. Jch weiß dir ſelbſt nicht, was ich
ſagen ſoll? Wenn ich Fuͤrſt waͤre, ließ ich freylich
jeden ſchieſſen; denn ich wuͤſte nicht, warum ich

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[169/0173] Nach einer Stunde hielt der Wagen in einem Dorfe, wo die Pferde gefuͤttert wurden. Xaver gieng in die Wirthsſtube, wo der Wirth, ein dicker Mann, und Schulz im Dorfe, mit zween Bau- ren heftig ſtritt. Der Streit war uͤber das Wild- ſchieſſen, und bey Gelegenheit einer Erzaͤhlung au- gegangen, daß den Tag vorher zween Wilddiebe von den fuͤrſtlichen Jaͤgern waͤren aufgehoben wor- den. — Denen wird was ſchoͤnes zubereitet wer- den, ſagte der Wirth. Wenn’s mir nachgienge, muͤßten all auf Hirſche geſchmiedet werden; aber unſer Fuͤrſt iſt viel zu gnaͤdig; der laͤßt ihnen hoͤch- ſtens noch den Daumen und den groſſen Zehen laͤhmen. Gerg. So, beym Teufel! Jhr ſeyd mir der rechte! Ja wohl, auf Hirſche ſchmieden! ’s iſt mei- ner Seel, ſchon zu viel, daß man den armen Leu- ten ſo was thut! Man ſollt jeden ſchieſſen laſſen, was und wie er will! Unſer Herr Gott hat das Wild erſchaffen, und ’s lauft fuͤr den Einen rum, wie fuͤr den andern. Nicht ſo, Vetter Michel? Was haͤltſt du davon? Michel. Jch weiß dir ſelbſt nicht, was ich ſagen ſoll? Wenn ich Fuͤrſt waͤre, ließ ich freylich jeden ſchieſſen; denn ich wuͤſte nicht, warum ich

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/173>, abgerufen am 25.11.2024.