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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Hals geschlungen. Hielts Theresen und Xa-
vern
hin, daß sie's küssen sollten; ließ es laufen,
und aus Scherz halb fallen; dann schenkt' er
ihm einen Kreuzer, als es gehen wollte, und führ-
te es bis an die Thüre. Xaver und Therese
lächelten einander zu, und freuten sich über die
schöne Herablassung des ehrlichen Alten, und als
er von der Gartenthüre wieder zurückkam, sagte

Therese. Es ist Jammerschade, Herr Pfar-
rer, daß sie nicht auch Kinder haben! Sie wür-
den durch ihre Liebe lauter Engel aus ihnen
machen.

Pfarrer. Das ist lang mein Kummer ge-
wesen, Jungfer Thereschen! Aber, lieber Gott,
wir dürfen ja keine Kinder haben. Uns armen
Leuten hats die Kirche ja verboten. Es ist frey-
lich hart; aber in die Ordnung muß man sich
nun einmal schicken. Jch tröste mich mit mei-
nen Untergebenen, daß ich die durch Lieb und
Treue zu meinen Kindern mache. Wer weis,
obs mein Glück gewesen wäre, wenn ich eigne
Kinder hätte? Man ist oft auch sehr unglücklich
mit. Ha, ha! da bringt meine Susanne Milch!
Wollen wir nun in die Laube gehen, und sie dort
essen?



Hals geſchlungen. Hielts Thereſen und Xa-
vern
hin, daß ſie’s kuͤſſen ſollten; ließ es laufen,
und aus Scherz halb fallen; dann ſchenkt’ er
ihm einen Kreuzer, als es gehen wollte, und fuͤhr-
te es bis an die Thuͤre. Xaver und Thereſe
laͤchelten einander zu, und freuten ſich uͤber die
ſchoͤne Herablaſſung des ehrlichen Alten, und als
er von der Gartenthuͤre wieder zuruͤckkam, ſagte

Thereſe. Es iſt Jammerſchade, Herr Pfar-
rer, daß ſie nicht auch Kinder haben! Sie wuͤr-
den durch ihre Liebe lauter Engel aus ihnen
machen.

Pfarrer. Das iſt lang mein Kummer ge-
weſen, Jungfer Thereschen! Aber, lieber Gott,
wir duͤrfen ja keine Kinder haben. Uns armen
Leuten hats die Kirche ja verboten. Es iſt frey-
lich hart; aber in die Ordnung muß man ſich
nun einmal ſchicken. Jch troͤſte mich mit mei-
nen Untergebenen, daß ich die durch Lieb und
Treue zu meinen Kindern mache. Wer weis,
obs mein Gluͤck geweſen waͤre, wenn ich eigne
Kinder haͤtte? Man iſt oft auch ſehr ungluͤcklich
mit. Ha, ha! da bringt meine Suſanne Milch!
Wollen wir nun in die Laube gehen, und ſie dort
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[156/0160] Hals geſchlungen. Hielts Thereſen und Xa- vern hin, daß ſie’s kuͤſſen ſollten; ließ es laufen, und aus Scherz halb fallen; dann ſchenkt’ er ihm einen Kreuzer, als es gehen wollte, und fuͤhr- te es bis an die Thuͤre. Xaver und Thereſe laͤchelten einander zu, und freuten ſich uͤber die ſchoͤne Herablaſſung des ehrlichen Alten, und als er von der Gartenthuͤre wieder zuruͤckkam, ſagte Thereſe. Es iſt Jammerſchade, Herr Pfar- rer, daß ſie nicht auch Kinder haben! Sie wuͤr- den durch ihre Liebe lauter Engel aus ihnen machen. Pfarrer. Das iſt lang mein Kummer ge- weſen, Jungfer Thereschen! Aber, lieber Gott, wir duͤrfen ja keine Kinder haben. Uns armen Leuten hats die Kirche ja verboten. Es iſt frey- lich hart; aber in die Ordnung muß man ſich nun einmal ſchicken. Jch troͤſte mich mit mei- nen Untergebenen, daß ich die durch Lieb und Treue zu meinen Kindern mache. Wer weis, obs mein Gluͤck geweſen waͤre, wenn ich eigne Kinder haͤtte? Man iſt oft auch ſehr ungluͤcklich mit. Ha, ha! da bringt meine Suſanne Milch! Wollen wir nun in die Laube gehen, und ſie dort eſſen?

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/160>, abgerufen am 24.11.2024.