Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite


Nun giengen sie zu Tische. Es wurde viel
von Xavers künftigen Einrichtungen auf der Schu-
le gesprochen, denn Therese hatte, noch vor dem
Essen, ihrem Vater gesagt, daß sie im Wesentlichen
nichts bey ihrem Bruder ausgerichtet habe, und
daß er sich den Entschluß, ein Geistlicher zu wer-
den, nicht benehmen lasse. Nach dem Essen, sag-
te sie, wollen wir, wenn Sies erlauben, nach Win-
denheim zu dem Pfarrer gehen, dem wirs gestern
versprochen haben, vielleicht kommt dem Bruder
das Amt eines Weltgeistlichen eben so angenehm
und reizend vor, als das Mönchsleben; es wäre
für ihn doch immer besser, wenn er jenes dem an-
dern vorzöge. -- -- Als man abgegessen hatte,
besorgte Therese noch einige häusliche Geschäfte,
und gieng um 3 Uhr mit ihrem Bruder nach Win-
denheim. Auf dem Wege dahin freuten sie sich
der schönen Gegend, und der blühenden Jahrs-
zeit; sie riefen tausend angenehme Auftritte aus
den Jahren ihrer Kindheit zurück; versprachen sich,
einander fleißig zuzuschreiben, und sich alle Heimlich-
keiten ihres Herzens zu entdecken. Xaver mußte
auch versprechen, übers Jahr in den Ferien, sei-
nen Vater und sie zu besuchen.

K


Nun giengen ſie zu Tiſche. Es wurde viel
von Xavers kuͤnftigen Einrichtungen auf der Schu-
le geſprochen, denn Thereſe hatte, noch vor dem
Eſſen, ihrem Vater geſagt, daß ſie im Weſentlichen
nichts bey ihrem Bruder ausgerichtet habe, und
daß er ſich den Entſchluß, ein Geiſtlicher zu wer-
den, nicht benehmen laſſe. Nach dem Eſſen, ſag-
te ſie, wollen wir, wenn Sies erlauben, nach Win-
denheim zu dem Pfarrer gehen, dem wirs geſtern
verſprochen haben, vielleicht kommt dem Bruder
das Amt eines Weltgeiſtlichen eben ſo angenehm
und reizend vor, als das Moͤnchsleben; es waͤre
fuͤr ihn doch immer beſſer, wenn er jenes dem an-
dern vorzoͤge. — — Als man abgegeſſen hatte,
beſorgte Thereſe noch einige haͤusliche Geſchaͤfte,
und gieng um 3 Uhr mit ihrem Bruder nach Win-
denheim. Auf dem Wege dahin freuten ſie ſich
der ſchoͤnen Gegend, und der bluͤhenden Jahrs-
zeit; ſie riefen tauſend angenehme Auftritte aus
den Jahren ihrer Kindheit zuruͤck; verſprachen ſich,
einander fleißig zuzuſchreiben, und ſich alle Heimlich-
keiten ihres Herzens zu entdecken. Xaver mußte
auch verſprechen, uͤbers Jahr in den Ferien, ſei-
nen Vater und ſie zu beſuchen.

K
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0149" n="145"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Nun giengen &#x017F;ie zu Ti&#x017F;che. Es wurde viel<lb/>
von <hi rendition="#fr">Xavers</hi> ku&#x0364;nftigen Einrichtungen auf der Schu-<lb/>
le ge&#x017F;prochen, denn <hi rendition="#fr">There&#x017F;e</hi> hatte, noch vor dem<lb/>
E&#x017F;&#x017F;en, ihrem Vater ge&#x017F;agt, daß &#x017F;ie im We&#x017F;entlichen<lb/>
nichts bey ihrem Bruder ausgerichtet habe, und<lb/>
daß er &#x017F;ich den Ent&#x017F;chluß, ein Gei&#x017F;tlicher zu wer-<lb/>
den, nicht benehmen la&#x017F;&#x017F;e. Nach dem E&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ag-<lb/>
te &#x017F;ie, wollen wir, wenn Sies erlauben, nach Win-<lb/>
denheim zu dem <hi rendition="#fr">Pfarrer</hi> gehen, dem wirs ge&#x017F;tern<lb/>
ver&#x017F;prochen haben, vielleicht kommt dem Bruder<lb/>
das Amt eines Weltgei&#x017F;tlichen eben &#x017F;o angenehm<lb/>
und reizend vor, als das Mo&#x0364;nchsleben; es wa&#x0364;re<lb/>
fu&#x0364;r ihn doch immer be&#x017F;&#x017F;er, wenn er jenes dem an-<lb/>
dern vorzo&#x0364;ge. &#x2014; &#x2014; Als man abgege&#x017F;&#x017F;en hatte,<lb/>
be&#x017F;orgte <hi rendition="#fr">There&#x017F;e</hi> noch einige ha&#x0364;usliche Ge&#x017F;cha&#x0364;fte,<lb/>
und gieng um 3 Uhr mit ihrem Bruder nach Win-<lb/>
denheim. Auf dem Wege dahin freuten &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
der &#x017F;cho&#x0364;nen Gegend, und der blu&#x0364;henden Jahrs-<lb/>
zeit; &#x017F;ie riefen tau&#x017F;end angenehme Auftritte aus<lb/>
den Jahren ihrer Kindheit zuru&#x0364;ck; ver&#x017F;prachen &#x017F;ich,<lb/>
einander fleißig zuzu&#x017F;chreiben, und &#x017F;ich alle Heimlich-<lb/>
keiten ihres Herzens zu entdecken. <hi rendition="#fr">Xaver</hi> mußte<lb/>
auch ver&#x017F;prechen, u&#x0364;bers Jahr in den Ferien, &#x017F;ei-<lb/>
nen Vater und &#x017F;ie zu be&#x017F;uchen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">K</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0149] Nun giengen ſie zu Tiſche. Es wurde viel von Xavers kuͤnftigen Einrichtungen auf der Schu- le geſprochen, denn Thereſe hatte, noch vor dem Eſſen, ihrem Vater geſagt, daß ſie im Weſentlichen nichts bey ihrem Bruder ausgerichtet habe, und daß er ſich den Entſchluß, ein Geiſtlicher zu wer- den, nicht benehmen laſſe. Nach dem Eſſen, ſag- te ſie, wollen wir, wenn Sies erlauben, nach Win- denheim zu dem Pfarrer gehen, dem wirs geſtern verſprochen haben, vielleicht kommt dem Bruder das Amt eines Weltgeiſtlichen eben ſo angenehm und reizend vor, als das Moͤnchsleben; es waͤre fuͤr ihn doch immer beſſer, wenn er jenes dem an- dern vorzoͤge. — — Als man abgegeſſen hatte, beſorgte Thereſe noch einige haͤusliche Geſchaͤfte, und gieng um 3 Uhr mit ihrem Bruder nach Win- denheim. Auf dem Wege dahin freuten ſie ſich der ſchoͤnen Gegend, und der bluͤhenden Jahrs- zeit; ſie riefen tauſend angenehme Auftritte aus den Jahren ihrer Kindheit zuruͤck; verſprachen ſich, einander fleißig zuzuſchreiben, und ſich alle Heimlich- keiten ihres Herzens zu entdecken. Xaver mußte auch verſprechen, uͤbers Jahr in den Ferien, ſei- nen Vater und ſie zu beſuchen. K

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/149
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/149>, abgerufen am 22.11.2024.