wenn man sie gleich anfangs alles Harte fühlen ließ? Soviel weiß ich, mich sollen sie gewiß nicht ins Kloster kriegen, wenn man mirs auch noch so golden abmalte! -- -- Glaubst du denn die Ruhe, und innere Zufriedenheit der Seelen wohne da? Ja, so dacht ich auch! Aber ich sah wol, wie so manche Nonne Morgens aus der Zelle schlich, mit ver- weinten Augen, die die ganze Nacht keinen Schlaf gesehen hatten. Glaub mir, Bruder, es ist trau- rig, zwanzig oder dreißig Frauenzimmer zu sehen, die zum Theil noch jung sind; wie sie, mit halb- verloschnen Augen, mit abgebleichten, eingefallnen Wangen, da stehen; ihren Psalm absingen; und dann einen Blick zum Himmel aufheben, der, im tiefsten Ausdruck des Schmerzes, keine andre Wohl- that, als den Tod herabzuflehen scheint; Glaub mir, das ist traurig, Bruder!
Und wenn man erst in die Zellen kommt, wo sie ihren Thränen freyen Lauf lassen können; wenn sie da den Schleyer aufheben, der noch halb das traurige Gesicht bedeckt hatte! Bruder, das ist gar nicht zu beschreiben, was man da fühlt! Die hei- lige, keusche Brust, die nur ihren Seelenbräutigam eingeschlossen haben sollte, wird so oft von unwill- kührlichen Seufzern emporgehoben, die einem ganz
wenn man ſie gleich anfangs alles Harte fuͤhlen ließ? Soviel weiß ich, mich ſollen ſie gewiß nicht ins Kloſter kriegen, wenn man mirs auch noch ſo golden abmalte! — — Glaubſt du denn die Ruhe, und innere Zufriedenheit der Seelen wohne da? Ja, ſo dacht ich auch! Aber ich ſah wol, wie ſo manche Nonne Morgens aus der Zelle ſchlich, mit ver- weinten Augen, die die ganze Nacht keinen Schlaf geſehen hatten. Glaub mir, Bruder, es iſt trau- rig, zwanzig oder dreißig Frauenzimmer zu ſehen, die zum Theil noch jung ſind; wie ſie, mit halb- verloſchnen Augen, mit abgebleichten, eingefallnen Wangen, da ſtehen; ihren Pſalm abſingen; und dann einen Blick zum Himmel aufheben, der, im tiefſten Ausdruck des Schmerzes, keine andre Wohl- that, als den Tod herabzuflehen ſcheint; Glaub mir, das iſt traurig, Bruder!
Und wenn man erſt in die Zellen kommt, wo ſie ihren Thraͤnen freyen Lauf laſſen koͤnnen; wenn ſie da den Schleyer aufheben, der noch halb das traurige Geſicht bedeckt hatte! Bruder, das iſt gar nicht zu beſchreiben, was man da fuͤhlt! Die hei- lige, keuſche Bruſt, die nur ihren Seelenbraͤutigam eingeſchloſſen haben ſollte, wird ſo oft von unwill- kuͤhrlichen Seufzern emporgehoben, die einem ganz
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wenn man ſie gleich anfangs alles Harte fuͤhlen
ließ? Soviel weiß ich, mich ſollen ſie gewiß nicht ins
Kloſter kriegen, wenn man mirs auch noch ſo golden
abmalte! — — Glaubſt du denn die Ruhe, und
innere Zufriedenheit der Seelen wohne da? Ja,
ſo dacht ich auch! Aber ich ſah wol, wie ſo manche
Nonne Morgens aus der Zelle ſchlich, mit ver-
weinten Augen, die die ganze Nacht keinen Schlaf
geſehen hatten. Glaub mir, Bruder, es iſt trau-
rig, zwanzig oder dreißig Frauenzimmer zu ſehen,
die zum Theil noch jung ſind; wie ſie, mit halb-
verloſchnen Augen, mit abgebleichten, eingefallnen
Wangen, da ſtehen; ihren Pſalm abſingen; und
dann einen Blick zum Himmel aufheben, der, im
tiefſten Ausdruck des Schmerzes, keine andre Wohl-
that, als den Tod herabzuflehen ſcheint; Glaub
mir, das iſt traurig, Bruder!
Und wenn man erſt in die Zellen kommt, wo
ſie ihren Thraͤnen freyen Lauf laſſen koͤnnen; wenn
ſie da den Schleyer aufheben, der noch halb das
traurige Geſicht bedeckt hatte! Bruder, das iſt gar
nicht zu beſchreiben, was man da fuͤhlt! Die hei-
lige, keuſche Bruſt, die nur ihren Seelenbraͤutigam
eingeſchloſſen haben ſollte, wird ſo oft von unwill-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/135>, abgerufen am 16.02.2025.
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