lichen guten Abend wünschte, ohne weiter nachzu- fragen, wie es ihm die Zeit über gegangen sey?
Bald drauf setzte man sich in der Laube zu Tische; Therese trug mit angenehmer Geschästigkeit das Essen auf. Sie war wie eine arkadische Schäferinn gekleidet, im weissen Gewand der Un- schuld mit rosenroten Schleifen. Jhre schönen braunen Haare waren losgegangen, und flogen in der Luft, wenn sie durch den Garten hüpfte. Sie muste sich neben ihren Vater setzen, und ihm aller- ley erzälen. Mit ihrer gewöhnlichen Anmut that sie's zwar aber nicht mit der, ihr sonst eigenthüm- lichen Munterkeit; denn das künftige Schicksal ih- res Bruders schwebte ihr, wie eine Wetterwolke am sonst heitern Himmel, vor Augen, und er- schreckte sie. Er saß ihr gegenüber; wenn er sie nicht ansah, blickte sie ihn halbverstohlen und mit- leidig an; Ein paarmal hatte sie Mühe, Jhre Thränen vor ihm und ihrem Vater zu verbergen. Karl hingegen, der in Gedanken schon berechnet hatte, wie viel er durch den Entschluß seines Bru- ders, ins Kloster zu gehen, bey der Erbschaft einst gewinnen werde, sprach unaufhörlich von der ver- nünftigen Wahl Xavers, und von dem Glück das ihn erwartete, gleich als ob er fürchtete, sein Ent-
lichen guten Abend wuͤnſchte, ohne weiter nachzu- fragen, wie es ihm die Zeit uͤber gegangen ſey?
Bald drauf ſetzte man ſich in der Laube zu Tiſche; Thereſe trug mit angenehmer Geſchaͤſtigkeit das Eſſen auf. Sie war wie eine arkadiſche Schaͤferinn gekleidet, im weiſſen Gewand der Un- ſchuld mit roſenroten Schleifen. Jhre ſchoͤnen braunen Haare waren losgegangen, und flogen in der Luft, wenn ſie durch den Garten huͤpfte. Sie muſte ſich neben ihren Vater ſetzen, und ihm aller- ley erzaͤlen. Mit ihrer gewoͤhnlichen Anmut that ſie’s zwar aber nicht mit der, ihr ſonſt eigenthuͤm- lichen Munterkeit; denn das kuͤnftige Schickſal ih- res Bruders ſchwebte ihr, wie eine Wetterwolke am ſonſt heitern Himmel, vor Augen, und er- ſchreckte ſie. Er ſaß ihr gegenuͤber; wenn er ſie nicht anſah, blickte ſie ihn halbverſtohlen und mit- leidig an; Ein paarmal hatte ſie Muͤhe, Jhre Thraͤnen vor ihm und ihrem Vater zu verbergen. Karl hingegen, der in Gedanken ſchon berechnet hatte, wie viel er durch den Entſchluß ſeines Bru- ders, ins Kloſter zu gehen, bey der Erbſchaft einſt gewinnen werde, ſprach unaufhoͤrlich von der ver- nuͤnftigen Wahl Xavers, und von dem Gluͤck das ihn erwartete, gleich als ob er fuͤrchtete, ſein Ent-
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lichen guten Abend wuͤnſchte, ohne weiter nachzu-
fragen, wie es ihm die Zeit uͤber gegangen ſey?
Bald drauf ſetzte man ſich in der Laube zu
Tiſche; Thereſe trug mit angenehmer Geſchaͤſtigkeit
das Eſſen auf. Sie war wie eine arkadiſche
Schaͤferinn gekleidet, im weiſſen Gewand der Un-
ſchuld mit roſenroten Schleifen. Jhre ſchoͤnen
braunen Haare waren losgegangen, und flogen in
der Luft, wenn ſie durch den Garten huͤpfte. Sie
muſte ſich neben ihren Vater ſetzen, und ihm aller-
ley erzaͤlen. Mit ihrer gewoͤhnlichen Anmut that
ſie’s zwar aber nicht mit der, ihr ſonſt eigenthuͤm-
lichen Munterkeit; denn das kuͤnftige Schickſal ih-
res Bruders ſchwebte ihr, wie eine Wetterwolke
am ſonſt heitern Himmel, vor Augen, und er-
ſchreckte ſie. Er ſaß ihr gegenuͤber; wenn er ſie
nicht anſah, blickte ſie ihn halbverſtohlen und mit-
leidig an; Ein paarmal hatte ſie Muͤhe, Jhre
Thraͤnen vor ihm und ihrem Vater zu verbergen.
Karl hingegen, der in Gedanken ſchon berechnet
hatte, wie viel er durch den Entſchluß ſeines Bru-
ders, ins Kloſter zu gehen, bey der Erbſchaft einſt
gewinnen werde, ſprach unaufhoͤrlich von der ver-
nuͤnftigen Wahl Xavers, und von dem Gluͤck das
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/126>, abgerufen am 25.11.2024.
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