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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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IV. Rückweg -- nicht allein -- Narrenwagnisse -- Entfernungen.
zeitig anzutreten. Ueberwindung kostet es freilich, den Lohn
aller vorangegangenen und nachfolgenden Anstrengungen und
Gefahren sich selbst zu kürzen; Ahriman flüstert, die Sonne
stehe ja noch hoch, bis zur Dämmerung hab's noch lange
Zeit, bergab steige sich's leichter als auf, -- bleibe, Freund,
bleibe -- siehe, alles Land liegt zu deinen Füßen, -- bleibe,
sei kein Thor, genieße, schwelge, wer weiß, ob je im Leben
dir's wieder so vergönnt ist! -- -- O Wanderer, verschließe
dem Versucher Dein Ohr und folge der Stimme des weisen
Ormuzd, laute sie auch nicht süßer, als etwa so: "Chommet,
chommet, s' isch Zit, m'r hawwe no räiachliach zwäi Stund
bis zum Senn. Drunne macht's bälder dunkchal als hier
owwe." --

Eine Mahnung, obwohl sie in keinem Reisehandbuche
fehlt, sei hier wiederholt: man hüte sich, im Hochgebirge
allein zu wandern, und nehme, auch wenn zwei und mehr
Gefährten zusammen sind, überall, wo nicht feststeht, daß es
dessen nicht bedarf, Führer und die nöthigen Ausrüstungs-
gegenstände mit. Junge, kräftige Leute, die vor einem Wege
stehen, den sie von ihrem Standort meinen völlig übersehen
zu können, und der ihnen gar leicht und gefahrlos scheint,
sind oft geneigt, Warnungen zu verachten. Sie wollen nicht
glauben, daß kein noch so geübtes Auge die Beschaffenheit
von Schnee- und Eisfeldern von Weitem beurtheilen kann,
daß für die Beständigkeit des Wetters niemals Bürgschaft ist,
daß Richtpunkte, die sie von fern meinen fest im Auge be-
halten zu können, oft unvermerkt ihr Aussehen verändern
oder ganz verschwinden, daß auch in der Schätzung der
Entfernungen
der Fremde im Hochgebirg sich ungemein
leicht täuscht, wozu die ungewohnte Größe der Berge und die
Luftbeschaffenheit beitragen. Auch das Ohr vermittelt manche
Täuschung, verführt durch eigenthümliche akustische Verhält-
nisse von Felswänden, oder durch den Nebel, welcher die
Schallwellen unter geringem Verlust nach oben trägt. Was
Ihr Euch als Muth anrechnet, möchte man ihnen zurufen,

IV. Rückweg — nicht allein — Narrenwagniſſe — Entfernungen.
zeitig anzutreten. Ueberwindung koſtet es freilich, den Lohn
aller vorangegangenen und nachfolgenden Anſtrengungen und
Gefahren ſich ſelbſt zu kürzen; Ahriman flüſtert, die Sonne
ſtehe ja noch hoch, bis zur Dämmerung hab’s noch lange
Zeit, bergab ſteige ſich’s leichter als auf, — bleibe, Freund,
bleibe — ſiehe, alles Land liegt zu deinen Füßen, — bleibe,
ſei kein Thor, genieße, ſchwelge, wer weiß, ob je im Leben
dir’s wieder ſo vergönnt iſt! — — O Wanderer, verſchließe
dem Verſucher Dein Ohr und folge der Stimme des weiſen
Ormuzd, laute ſie auch nicht ſüßer, als etwa ſo: „Chommet,
chommet, s’ iſch Zit, m’r hawwe no räiachliach zwäi Stund
bis zum Senn. Drunne macht’s bälder dunkchal als hier
owwe.“ —

Eine Mahnung, obwohl ſie in keinem Reiſehandbuche
fehlt, ſei hier wiederholt: man hüte ſich, im Hochgebirge
allein zu wandern, und nehme, auch wenn zwei und mehr
Gefährten zuſammen ſind, überall, wo nicht feſtſteht, daß es
deſſen nicht bedarf, Führer und die nöthigen Ausrüſtungs-
gegenſtände mit. Junge, kräftige Leute, die vor einem Wege
ſtehen, den ſie von ihrem Standort meinen völlig überſehen
zu können, und der ihnen gar leicht und gefahrlos ſcheint,
ſind oft geneigt, Warnungen zu verachten. Sie wollen nicht
glauben, daß kein noch ſo geübtes Auge die Beſchaffenheit
von Schnee- und Eisfeldern von Weitem beurtheilen kann,
daß für die Beſtändigkeit des Wetters niemals Bürgſchaft iſt,
daß Richtpunkte, die ſie von fern meinen feſt im Auge be-
halten zu können, oft unvermerkt ihr Ausſehen verändern
oder ganz verſchwinden, daß auch in der Schätzung der
Entfernungen
der Fremde im Hochgebirg ſich ungemein
leicht täuſcht, wozu die ungewohnte Größe der Berge und die
Luftbeſchaffenheit beitragen. Auch das Ohr vermittelt manche
Täuſchung, verführt durch eigenthümliche akuſtiſche Verhält-
niſſe von Felswänden, oder durch den Nebel, welcher die
Schallwellen unter geringem Verluſt nach oben trägt. Was
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[79/0093] IV. Rückweg — nicht allein — Narrenwagniſſe — Entfernungen. zeitig anzutreten. Ueberwindung koſtet es freilich, den Lohn aller vorangegangenen und nachfolgenden Anſtrengungen und Gefahren ſich ſelbſt zu kürzen; Ahriman flüſtert, die Sonne ſtehe ja noch hoch, bis zur Dämmerung hab’s noch lange Zeit, bergab ſteige ſich’s leichter als auf, — bleibe, Freund, bleibe — ſiehe, alles Land liegt zu deinen Füßen, — bleibe, ſei kein Thor, genieße, ſchwelge, wer weiß, ob je im Leben dir’s wieder ſo vergönnt iſt! — — O Wanderer, verſchließe dem Verſucher Dein Ohr und folge der Stimme des weiſen Ormuzd, laute ſie auch nicht ſüßer, als etwa ſo: „Chommet, chommet, s’ iſch Zit, m’r hawwe no räiachliach zwäi Stund bis zum Senn. Drunne macht’s bälder dunkchal als hier owwe.“ — Eine Mahnung, obwohl ſie in keinem Reiſehandbuche fehlt, ſei hier wiederholt: man hüte ſich, im Hochgebirge allein zu wandern, und nehme, auch wenn zwei und mehr Gefährten zuſammen ſind, überall, wo nicht feſtſteht, daß es deſſen nicht bedarf, Führer und die nöthigen Ausrüſtungs- gegenſtände mit. Junge, kräftige Leute, die vor einem Wege ſtehen, den ſie von ihrem Standort meinen völlig überſehen zu können, und der ihnen gar leicht und gefahrlos ſcheint, ſind oft geneigt, Warnungen zu verachten. Sie wollen nicht glauben, daß kein noch ſo geübtes Auge die Beſchaffenheit von Schnee- und Eisfeldern von Weitem beurtheilen kann, daß für die Beſtändigkeit des Wetters niemals Bürgſchaft iſt, daß Richtpunkte, die ſie von fern meinen feſt im Auge be- halten zu können, oft unvermerkt ihr Ausſehen verändern oder ganz verſchwinden, daß auch in der Schätzung der Entfernungen der Fremde im Hochgebirg ſich ungemein leicht täuſcht, wozu die ungewohnte Größe der Berge und die Luftbeſchaffenheit beitragen. Auch das Ohr vermittelt manche Täuſchung, verführt durch eigenthümliche akuſtiſche Verhält- niſſe von Felswänden, oder durch den Nebel, welcher die Schallwellen unter geringem Verluſt nach oben trägt. Was Ihr Euch als Muth anrechnet, möchte man ihnen zurufen,

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/93>, abgerufen am 24.11.2024.