Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Felsen -- Unglücksfälle -- Grashänge.
rasch und leichtfüßig darüber hinweg zu schlüpfen, nicht etwa
aus übelangebrachter Vorsicht auf einem Fuße stehend mit
dem andern vorwärts zu sondiren. Ist Jemand voran-
gegangen, so trete der folgende in seine Fußstapfen. Beim
Hinabsteigen über Geröll wird der Alpenstock wieder mit
beiden Händen gefaßt, aber die Spitze seitwärts, etwas nach
hinten eingestemmt und der Oberkörper rückwärts gebeugt;
je mehr wir uns vorbögen, je mehr würde die Bewegung
beschleunigt. Dabei ist zu achten, daß die Absätze hinten tief
und die Zehen etwas aufwärts gekehrt sind, um Verrenkungen
zu verhüten. Das empfohlene Einhalten der Fußstapfen des
Vorgängers ist indeß zu vermeiden, wenn der Weg über
brüchigen, nackten Boden geht (auf welchem nur einzelne
größere Steine umhergestreut sind, die sich leicht lösen und
niederrollen), oder über morschen, bröckelnden Felsen,
"faules Gestein", z. B. verschiedene Kalkarten und Nagelflue.
In solchen Fällen hält man sich etwas seitwärts vom Vorder-
mann und ruft, wenn sich Blöcke lösen, dem Nachfolger zu.

Nach der Versicherung der Aelpler kommen Unglücks-
fälle
fast nie an Punkten vor, die als gefährlich berüchtigt
sind und wo alle Mittel zu richtigem Verhalten aufgeboten
werden, vielmehr in der Regel an scheinbar harmlosen
Stellen, die aber eben dadurch zur Unachtsamkeit verführten.
So z. B. gibt es auf Grasabhängen etwas vertiefte
Strecken, in welchen sich ein kaum sichtbares Rinnsal bildet,
das Halme, Wurzeln und Untergrund dermaßen verquickt,
daß die blankste Eisbahn nicht glatter sein kann. Solche
verrätherische feuchte *) Bergwiesen kosteten schon vielen ein-
heimischen armen Mädchen und Burschen und manchen
Reisenden das Leben. Meist sind sie gar nicht einmal sonder-
lich steil und lächeln so unschuldig und gewinnend, daß man

*) Auch trockene, sonnverbrannte Matten sind häufig von gefährlicher Glätte,
und theilen diese Eigenschaft außerdem den Sohlen mit, ganz wie Fichtennadeln.
Auber hat in einer Oper die Wahrnehmung in Musik gesetzt, daß es auf Rasen
gefährlicher ist, auszugleiten, als auf Schnee.

IV. Felſen — Unglücksfälle — Grashänge.
raſch und leichtfüßig darüber hinweg zu ſchlüpfen, nicht etwa
aus übelangebrachter Vorſicht auf einem Fuße ſtehend mit
dem andern vorwärts zu ſondiren. Iſt Jemand voran-
gegangen, ſo trete der folgende in ſeine Fußſtapfen. Beim
Hinabſteigen über Geröll wird der Alpenſtock wieder mit
beiden Händen gefaßt, aber die Spitze ſeitwärts, etwas nach
hinten eingeſtemmt und der Oberkörper rückwärts gebeugt;
je mehr wir uns vorbögen, je mehr würde die Bewegung
beſchleunigt. Dabei iſt zu achten, daß die Abſätze hinten tief
und die Zehen etwas aufwärts gekehrt ſind, um Verrenkungen
zu verhüten. Das empfohlene Einhalten der Fußſtapfen des
Vorgängers iſt indeß zu vermeiden, wenn der Weg über
brüchigen, nackten Boden geht (auf welchem nur einzelne
größere Steine umhergeſtreut ſind, die ſich leicht löſen und
niederrollen), oder über morſchen, bröckelnden Felſen,
„faules Geſtein“, z. B. verſchiedene Kalkarten und Nagelflue.
In ſolchen Fällen hält man ſich etwas ſeitwärts vom Vorder-
mann und ruft, wenn ſich Blöcke löſen, dem Nachfolger zu.

Nach der Verſicherung der Aelpler kommen Unglücks-
fälle
faſt nie an Punkten vor, die als gefährlich berüchtigt
ſind und wo alle Mittel zu richtigem Verhalten aufgeboten
werden, vielmehr in der Regel an ſcheinbar harmloſen
Stellen, die aber eben dadurch zur Unachtſamkeit verführten.
So z. B. gibt es auf Grasabhängen etwas vertiefte
Strecken, in welchen ſich ein kaum ſichtbares Rinnſal bildet,
das Halme, Wurzeln und Untergrund dermaßen verquickt,
daß die blankſte Eisbahn nicht glatter ſein kann. Solche
verrätheriſche feuchte *) Bergwieſen koſteten ſchon vielen ein-
heimiſchen armen Mädchen und Burſchen und manchen
Reiſenden das Leben. Meiſt ſind ſie gar nicht einmal ſonder-
lich ſteil und lächeln ſo unſchuldig und gewinnend, daß man

*) Auch trockene, ſonnverbrannte Matten ſind häufig von gefährlicher Glätte,
und theilen dieſe Eigenſchaft außerdem den Sohlen mit, ganz wie Fichtennadeln.
Auber hat in einer Oper die Wahrnehmung in Muſik geſetzt, daß es auf Raſen
gefährlicher iſt, auszugleiten, als auf Schnee.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="72"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Fel&#x017F;en &#x2014; Unglücksfälle &#x2014; Grashänge.</fw><lb/>
ra&#x017F;ch und leichtfüßig darüber hinweg zu &#x017F;chlüpfen, nicht etwa<lb/>
aus übelangebrachter Vor&#x017F;icht auf einem Fuße &#x017F;tehend mit<lb/>
dem andern vorwärts zu &#x017F;ondiren. I&#x017F;t Jemand voran-<lb/>
gegangen, &#x017F;o trete der folgende in &#x017F;eine Fuß&#x017F;tapfen. Beim<lb/>
Hinab&#x017F;teigen über Geröll wird der Alpen&#x017F;tock wieder mit<lb/>
beiden Händen gefaßt, aber die Spitze &#x017F;eitwärts, etwas nach<lb/>
hinten einge&#x017F;temmt und der Oberkörper rückwärts gebeugt;<lb/>
je mehr wir uns vorbögen, je mehr würde die Bewegung<lb/>
be&#x017F;chleunigt. Dabei i&#x017F;t zu achten, daß die Ab&#x017F;ätze hinten tief<lb/>
und die Zehen etwas aufwärts gekehrt &#x017F;ind, um Verrenkungen<lb/>
zu verhüten. Das empfohlene Einhalten der Fuß&#x017F;tapfen des<lb/>
Vorgängers i&#x017F;t indeß zu vermeiden, wenn der Weg über<lb/>
brüchigen, nackten Boden geht (auf welchem nur einzelne<lb/>
größere Steine umherge&#x017F;treut &#x017F;ind, die &#x017F;ich leicht lö&#x017F;en und<lb/>
niederrollen), oder über mor&#x017F;chen, bröckelnden <hi rendition="#g">Fel&#x017F;en</hi>,<lb/>
&#x201E;faules Ge&#x017F;tein&#x201C;, z. B. ver&#x017F;chiedene Kalkarten und Nagelflue.<lb/>
In &#x017F;olchen Fällen hält man &#x017F;ich etwas &#x017F;eitwärts vom Vorder-<lb/>
mann und ruft, wenn &#x017F;ich Blöcke lö&#x017F;en, dem Nachfolger zu.</p><lb/>
        <p>Nach der Ver&#x017F;icherung der Aelpler kommen <hi rendition="#g">Unglücks-<lb/>
fälle</hi> fa&#x017F;t nie an Punkten vor, die als gefährlich berüchtigt<lb/>
&#x017F;ind und wo alle Mittel zu richtigem Verhalten aufgeboten<lb/>
werden, vielmehr in der Regel an &#x017F;cheinbar harmlo&#x017F;en<lb/>
Stellen, die aber eben dadurch zur Unacht&#x017F;amkeit verführten.<lb/>
So z. B. gibt es auf <hi rendition="#g">Grasabhängen</hi> etwas vertiefte<lb/>
Strecken, in welchen &#x017F;ich ein kaum &#x017F;ichtbares Rinn&#x017F;al bildet,<lb/>
das Halme, Wurzeln und Untergrund dermaßen verquickt,<lb/>
daß die blank&#x017F;te Eisbahn nicht glatter &#x017F;ein kann. Solche<lb/>
verrätheri&#x017F;che feuchte <note place="foot" n="*)">Auch trockene, &#x017F;onnverbrannte Matten &#x017F;ind häufig von gefährlicher Glätte,<lb/>
und theilen die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaft außerdem den Sohlen mit, ganz wie Fichtennadeln.<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118646192">Auber</persName> hat in einer Oper die Wahrnehmung in Mu&#x017F;ik ge&#x017F;etzt, daß es auf Ra&#x017F;en<lb/>
gefährlicher i&#x017F;t, auszugleiten, als auf Schnee.</note> Bergwie&#x017F;en ko&#x017F;teten &#x017F;chon vielen ein-<lb/>
heimi&#x017F;chen armen Mädchen und Bur&#x017F;chen und manchen<lb/>
Rei&#x017F;enden das Leben. Mei&#x017F;t &#x017F;ind &#x017F;ie gar nicht einmal &#x017F;onder-<lb/>
lich &#x017F;teil und lächeln &#x017F;o un&#x017F;chuldig und gewinnend, daß man<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0086] IV. Felſen — Unglücksfälle — Grashänge. raſch und leichtfüßig darüber hinweg zu ſchlüpfen, nicht etwa aus übelangebrachter Vorſicht auf einem Fuße ſtehend mit dem andern vorwärts zu ſondiren. Iſt Jemand voran- gegangen, ſo trete der folgende in ſeine Fußſtapfen. Beim Hinabſteigen über Geröll wird der Alpenſtock wieder mit beiden Händen gefaßt, aber die Spitze ſeitwärts, etwas nach hinten eingeſtemmt und der Oberkörper rückwärts gebeugt; je mehr wir uns vorbögen, je mehr würde die Bewegung beſchleunigt. Dabei iſt zu achten, daß die Abſätze hinten tief und die Zehen etwas aufwärts gekehrt ſind, um Verrenkungen zu verhüten. Das empfohlene Einhalten der Fußſtapfen des Vorgängers iſt indeß zu vermeiden, wenn der Weg über brüchigen, nackten Boden geht (auf welchem nur einzelne größere Steine umhergeſtreut ſind, die ſich leicht löſen und niederrollen), oder über morſchen, bröckelnden Felſen, „faules Geſtein“, z. B. verſchiedene Kalkarten und Nagelflue. In ſolchen Fällen hält man ſich etwas ſeitwärts vom Vorder- mann und ruft, wenn ſich Blöcke löſen, dem Nachfolger zu. Nach der Verſicherung der Aelpler kommen Unglücks- fälle faſt nie an Punkten vor, die als gefährlich berüchtigt ſind und wo alle Mittel zu richtigem Verhalten aufgeboten werden, vielmehr in der Regel an ſcheinbar harmloſen Stellen, die aber eben dadurch zur Unachtſamkeit verführten. So z. B. gibt es auf Grasabhängen etwas vertiefte Strecken, in welchen ſich ein kaum ſichtbares Rinnſal bildet, das Halme, Wurzeln und Untergrund dermaßen verquickt, daß die blankſte Eisbahn nicht glatter ſein kann. Solche verrätheriſche feuchte *) Bergwieſen koſteten ſchon vielen ein- heimiſchen armen Mädchen und Burſchen und manchen Reiſenden das Leben. Meiſt ſind ſie gar nicht einmal ſonder- lich ſteil und lächeln ſo unſchuldig und gewinnend, daß man *) Auch trockene, ſonnverbrannte Matten ſind häufig von gefährlicher Glätte, und theilen dieſe Eigenſchaft außerdem den Sohlen mit, ganz wie Fichtennadeln. Auber hat in einer Oper die Wahrnehmung in Muſik geſetzt, daß es auf Raſen gefährlicher iſt, auszugleiten, als auf Schnee.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/86
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/86>, abgerufen am 25.11.2024.