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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VIII. Plötzlicher Geldgewinn. Wohnungsmiethe. Preissteigerungen.
zu ändern sind, will ich mich nicht verbreiten, die Bemerkung
kann ich aber nicht unterdrücken, daß das Verfahren der
meisten Curgäste von ihrer Ankunft bis zur Abreise eine
förmliche Herausforderung zur Uebertheuerung, Erpressung
und Bettelei ist. Wer nicht aus Büchern oder durch persön-
liche Erkundigungen an Ort und Stelle über die zeitweiligen
localen Preisverhältnisse sich unterrichten kann, sollte wenig-
stens die Privatwohnung nicht eher miethen, als bis er im
Ort umhergegangen, eine Anzahl Quartiere besichtigt, ihre
Miethpreise notirt hat, und beim Weggehen in jedem offen
erklären: ich werde mir noch andere Wohnungen ansehen, sagen
Sie mir gleich Ihren festen Preis. Statt dessen ist gewöhn-
lich am Morgen nach der Ankunft das Erste -- der Kaffee,
das Zweite, daß man in das nächste freundlich blickende
Haus, an dem ein Schild "Möblirte Zimmer" hängt, ein-
tritt, Stuben und Betten besichtigt und dann sofort den
Vertrag schließt, sei die Forderung auch die unerhörteste.
Diese so rasch bewilligte wird nun vom Hausbesitzer als eine
unüberlegte, unsinnige Schleuderei betrachtet und bitter bereut.
Für die Zukunft ist er "gewitzigt", vielleicht sucht er auch
das Versäumte innerhalb seines jetzigen Contracts durch
gewisse Mittelchen der Berechnung nachzuholen. Ferner
läuft er in seiner Freundschaft und Gevatterschaft umher,
klärt sie auf über die neuen Coursverhältnisse des Platzes
und findet für seine Lehren den fruchtbarsten Boden. Stehen-
der Artikel der Unterhaltungen in der Schenke und an den
Brunnen sind nun Miethpreise. "Für meinen Salong und
Angtree (anderthalb niedrige Stübchen mit drittehalb Fenster-
lein werden so benannt) habe ich ... gekriegt, wenn du nicht
dumm bist, forderst du ... u. s. w." Ein toller Wettstreit
entflammt die Leute, und aus dem bescheidenen Walddörfchen
ist bald ein fashionabler Ort geworden. So lange er Mode
bleibt, geht, geschäftlich betrachtet, alles gut. Es entstehen
Häuser über Häuser und Hypotheken über Hypotheken (damit
diese sicher auf jenen stehen können, werden die Dächer platt

VIII. Plötzlicher Geldgewinn. Wohnungsmiethe. Preisſteigerungen.
zu ändern ſind, will ich mich nicht verbreiten, die Bemerkung
kann ich aber nicht unterdrücken, daß das Verfahren der
meiſten Curgäſte von ihrer Ankunft bis zur Abreiſe eine
förmliche Herausforderung zur Uebertheuerung, Erpreſſung
und Bettelei iſt. Wer nicht aus Büchern oder durch perſön-
liche Erkundigungen an Ort und Stelle über die zeitweiligen
localen Preisverhältniſſe ſich unterrichten kann, ſollte wenig-
ſtens die Privatwohnung nicht eher miethen, als bis er im
Ort umhergegangen, eine Anzahl Quartiere beſichtigt, ihre
Miethpreiſe notirt hat, und beim Weggehen in jedem offen
erklären: ich werde mir noch andere Wohnungen anſehen, ſagen
Sie mir gleich Ihren feſten Preis. Statt deſſen iſt gewöhn-
lich am Morgen nach der Ankunft das Erſte — der Kaffee,
das Zweite, daß man in das nächſte freundlich blickende
Haus, an dem ein Schild „Möblirte Zimmer“ hängt, ein-
tritt, Stuben und Betten beſichtigt und dann ſofort den
Vertrag ſchließt, ſei die Forderung auch die unerhörteſte.
Dieſe ſo raſch bewilligte wird nun vom Hausbeſitzer als eine
unüberlegte, unſinnige Schleuderei betrachtet und bitter bereut.
Für die Zukunft iſt er „gewitzigt“, vielleicht ſucht er auch
das Verſäumte innerhalb ſeines jetzigen Contracts durch
gewiſſe Mittelchen der Berechnung nachzuholen. Ferner
läuft er in ſeiner Freundſchaft und Gevatterſchaft umher,
klärt ſie auf über die neuen Coursverhältniſſe des Platzes
und findet für ſeine Lehren den fruchtbarſten Boden. Stehen-
der Artikel der Unterhaltungen in der Schenke und an den
Brunnen ſind nun Miethpreiſe. „Für meinen Salong und
Angtree (anderthalb niedrige Stübchen mit drittehalb Fenſter-
lein werden ſo benannt) habe ich … gekriegt, wenn du nicht
dumm biſt, forderſt du … u. ſ. w.“ Ein toller Wettſtreit
entflammt die Leute, und aus dem beſcheidenen Walddörfchen
iſt bald ein faſhionabler Ort geworden. So lange er Mode
bleibt, geht, geſchäftlich betrachtet, alles gut. Es entſtehen
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[272/0286] VIII. Plötzlicher Geldgewinn. Wohnungsmiethe. Preisſteigerungen. zu ändern ſind, will ich mich nicht verbreiten, die Bemerkung kann ich aber nicht unterdrücken, daß das Verfahren der meiſten Curgäſte von ihrer Ankunft bis zur Abreiſe eine förmliche Herausforderung zur Uebertheuerung, Erpreſſung und Bettelei iſt. Wer nicht aus Büchern oder durch perſön- liche Erkundigungen an Ort und Stelle über die zeitweiligen localen Preisverhältniſſe ſich unterrichten kann, ſollte wenig- ſtens die Privatwohnung nicht eher miethen, als bis er im Ort umhergegangen, eine Anzahl Quartiere beſichtigt, ihre Miethpreiſe notirt hat, und beim Weggehen in jedem offen erklären: ich werde mir noch andere Wohnungen anſehen, ſagen Sie mir gleich Ihren feſten Preis. Statt deſſen iſt gewöhn- lich am Morgen nach der Ankunft das Erſte — der Kaffee, das Zweite, daß man in das nächſte freundlich blickende Haus, an dem ein Schild „Möblirte Zimmer“ hängt, ein- tritt, Stuben und Betten beſichtigt und dann ſofort den Vertrag ſchließt, ſei die Forderung auch die unerhörteſte. Dieſe ſo raſch bewilligte wird nun vom Hausbeſitzer als eine unüberlegte, unſinnige Schleuderei betrachtet und bitter bereut. Für die Zukunft iſt er „gewitzigt“, vielleicht ſucht er auch das Verſäumte innerhalb ſeines jetzigen Contracts durch gewiſſe Mittelchen der Berechnung nachzuholen. Ferner läuft er in ſeiner Freundſchaft und Gevatterſchaft umher, klärt ſie auf über die neuen Coursverhältniſſe des Platzes und findet für ſeine Lehren den fruchtbarſten Boden. Stehen- der Artikel der Unterhaltungen in der Schenke und an den Brunnen ſind nun Miethpreiſe. „Für meinen Salong und Angtree (anderthalb niedrige Stübchen mit drittehalb Fenſter- lein werden ſo benannt) habe ich … gekriegt, wenn du nicht dumm biſt, forderſt du … u. ſ. w.“ Ein toller Wettſtreit entflammt die Leute, und aus dem beſcheidenen Walddörfchen iſt bald ein faſhionabler Ort geworden. So lange er Mode bleibt, geht, geſchäftlich betrachtet, alles gut. Es entſtehen Häuſer über Häuſer und Hypotheken über Hypotheken (damit dieſe ſicher auf jenen ſtehen können, werden die Dächer platt

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/286>, abgerufen am 24.11.2024.